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Kultur: Sind so große Augen

Der Comicsalon Erlangen würdigt deutsche Manga-Zeichnerinnen

Sie würde gerne noch mehr Haut zeigen. Wenn nicht die Großmutter wäre, die zu ihren Leserinnen zählt. Der Oma zuliebe hält sich Gina Wetzel zurück und zeichnet ihre Figuren ein bisschen züchtiger. Die 21-jährige Künstlerin hätte nichts dagegen, in ihren Comic-Geschichten die Mädchen und Frauen knapper bekleidet zu zeigen. Sexismus? Ach was, winkt Wetzel ab und schüttelt den Kopf mit der Blumenspange im langen schwarzen Haar. „Sexismus hat mit knapper Kleidung nichts zu tun, sondern höchstens mit dem Verhalten der Charaktere.“ Die jugendlichen Hauptfiguren, die sie in ihrem morbid-ironischen Erstlingsbuch „Orcus Star“ in die Unterwelt und zurückschickt, sehen alle ein bisschen wie Lolita aus. Verhalten tun sie sich aber wie selbstbewusste, unabhängige Mädchen, die sich nicht so schnell etwas vormachen lassen, von Männern schon gar nicht.

Gina Wetzel gehört zu den prominenten Vertreterinnen einer neuen Generation junger deutscher Frauen, die in den letzten Jahren in ein Kunstgenre eingebrochen sind, das Jahrzehnte lang fast ausschließlich Männern vorbehalten war. Mit der Reduktion von Frauen auf Nebenrollen und Sex-Püppchen brechen sie dabei ebenso wie mit der Vorstellung, dass weibliche Souveränität und die offenherzige Darstellung des weiblichen Körpers nicht zusammenpassen. Inspiriert durch den Erfolg japanischer Manga-Comics vor allem bei weiblichen Teenagern in den neunziger Jahren, hat eine ständig wachsende Gruppe junger Zeichnerinnen den Impuls aus Fernost aufgenommen. Sie haben japanische Vorbilder wie „Sailor Moon“ erst konsumiert, dann kopiert und inzwischen eine eigene Bildsprache entwickelt. Beim Erlanger Comicsalon wurden die deutschen Manga-Frauen am Wochenende mit einer Sammelausstellung gefeiert.

Künstlerinnen wie Christina Plaka („Yonen Buzz“) oder Anike Hage („Gothic Sports“) haben sich inzwischen vom einstigen Vorbild Japan emanzipiert. Ihr Stil kombiniert asiatische Ästhetik mit der europäischen Zeichentradition und den Alltagsthemen und Fantasien deutscher Teenager. „Ich glaube nicht, dass ich irgendwann keine Mangas mehr zeichne“, sagt Fahr Sindram aus Berlin, die sich mit einem im viktorianischen Püppchen-Stil gezeichneten Band zum Thema Kindesmissbrauch („Losing Neverland“) als Provokateurin der Szene versteht. „Mangas sind wie Filme – ein unendliches Medium.“ Die rothaarige 25-Jährige, die Zylinder und Gothic-Kostüm trägt, machte zusammen mit ihren Kolleginnen in Erlangen deutlich, dass sie die Manga-Kultur nicht für eine vorübergehende Mode halten, wie es sich vielleicht manche Eltern wünschen, die mit den für Erwachsene schwer zugänglichen Liebes- und Fantasy-Comics wenig anfangen können. „Die Themenvielfalt im Manga ist so groß, dass es nie langweilig werden wird“, prophezeit Judith Park (22), mit der Teenie-Liebeskomödie „Y Square“ und dem psychologisch vielschichtigen Klon-Drama „Dystopia“ eine der kommerziell erfolgreichsten neuen deutschen Zeichnerinnen.

Den Erfolg der Manga-Kultur in Deutschland erklären die Zeichnerinnen mit der Interaktivität der Kunstform. Regelmäßig veranstalten die Verlage Zeichenwettbewerbe, über das Internet tauschen die Künstlerinnen erste Werke aus. Ihre Themen finden sie im eigenen Leben, es geht um Liebe, Freundschaft, Mode und Selbstfindung. Dazu kommt ein enormes Interesse für asiatische Popkultur, von japanischen Bands bis zu „Cosplay“- Rollenspielen, bei denen man Lieblingsfiguren aus Filmen und Büchern imitiert. Fast alle deutschen Nachwuchstalente, die jetzt Verträge bei den großen Verlagen Carlsen, Egmont oder Tokyopop haben, fingen als jugendlicher Fan an, wie auch Ying Zhou Cheng, Frankfurterin mit chinesischen Eltern, die kürzlich mit „Shanghai Passion“ einen so genannten Shonen-Ai-Manga veröffentlicht hat, eine Liebesgeschichte zwischen zwei androgyn wirkenden jungen Männern.

Erstmals erhielt in Erlangen auch ein Manga-Künstler einen Max-und-Moritz-Preis. Altmeister Keiji Makazawa erhielt ihn für sein autobiografisches Kriegsepos „Barfuß durch Hiroshima“. Außerdem wurden geehrt: Volker Reiche („Strizz“) als bester deutschsprachiger Comic-Künstler, Garry Trudeau („Doonesbury“) für den besten Comicstrip, „Das Unbehagen“ des österreichischen Zeichners Nicolas Mahler als bester deutschsprachiger Comic, „Die Unschuldigen“ des Italieners Gipi als bester internationaler Comic. Sonderpreise bekamen Ralf König für seine Stellungnahme im Streit um die Mohammed-Karikaturen und der Franzose Jacques Tardi für sein Lebenswerk.

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