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Zusammengewürfelt. Container im Hafen von Singapur. Wo heute eine Millionenstadt steht, lebten vor 200 Jahren nur ein paar malaiische Fischerfamilien.

© Jan Becke/eyetronic

„Singapur im Würgegriff“ von James Gordon Farrell: Die Welt retten und reich werden

Wiederentdeckung eines Klassikers: James Gordon Farrell rechnet in seiner bitterbösen Gesellschaftssatire „Singapur im Würgegriff“ mit dem britischen Imperialismus ab.

Auch der Fortschritt kommt irgendwann zum Stillstand. Dann verfestigt er sich in Ölfarben und landet an der Wohnzimmerwand. Walter Blackett, Unternehmer in den besten Jahren und alles andere als ein Mensch, „der zu Selbstzweifeln neigte“, beeindruckt Besucher gerne mit seiner kleinen Kunstgalerie. Eigentlich zeigen alle Gemälde in Variationen immer wieder dasselbe: Wie England die Zivilisation in die Welt brachte, speziell in die Dschungel Asiens.

Dreimaster im Hafen von Rangun, die von einheimischen Trägern mit Gewürzen oder Reis beladen werden. Dann ist schon eine Großstadt aus dem Boden gewachsen, Dampfschiffe haben die Segler ersetzt. Schließlich das Menschengewimmel in einer Metropole, die unter ostindischen Häfen nur noch von Kalkutta und Bombay übertroffen wird. Blackett legt seinen Finger auf ein prächtiges Lagerhaus und trompetet: „Das erste, das Blackett & Webb gehörte!“ Als Mitinhaber eines Unternehmens, das von Singapur aus den asiatischen Kautschuk-Export steuert, erkennt er im Wachstum eine Art Gottesbeweis. Sein Understatement verliert er nie: „Sehen Sie jetzt, wie ein klein wenig Handel einen Ort zum Leuchten bringt!“

Unterwegs zur eigenen Hinrichtung

Der Kolonialismus, von dem James Gordon Farrell in seinem 800-Seiten-Roman „Singapur im Würgegriff“ mit hinreißendem Sarkasmus erzählt, war der Versuch, die Welt zu verbessern und sich dabei zu bereichern. Doch die Handlung setzt 1937 ein und reicht bis ins Frühjahr 1942, als die Japaner die britische Kronkolonie erobern, die auf einer Insel zwischen dem heutigen Indonesien und Malaysia liegt. So ist die Welt, die uns hier in ihrer ganzen tropischen Spätblüte vorgeführt wird, bereits dem Untergang geweiht. Nur, dass die Figuren von ihrem Schicksal noch nichts wissen. Sie sind unterwegs zu ihrer eigenen Hinrichtung.

„Söhne sind Aktivposten, Töchter Verbindlichkeiten.“ Blackett kennt die Gesetze des Marktes, auch im Familienleben bleibt er Händler. Seine attraktive, aber kapriziöse Tochter Joan zu verheiraten erweist sich als schwierig, weil es in der Fremde an „wünschenswerten Männern“ mangelt. Ohnehin pflastern gebrochene Herzen den Weg der widerspenstigen Erbin, auch der junge, namenlos bleibende Mann, dem der Vater seine Bildersammlung zeigt, kommt nicht infrage.

Ein Buch mit den Qualitäten eines Chamäleons

„Ich habe dir doch schon tausendmal gesagt...“, sagt sie seufzend, und um die Mängel, die die drei Punkte andeuten, weiß der Vater nur zu genau. Die Kämpfe zwischen Eltern und Kind, das Schachern um die bestmögliche Heiratspartie erinnern an die Klassiker von Jane Austen und James Henry. Aber Farrells Buch hat die Qualitäten eines Chamäleons. Bevor es sich im harten Realismus dem Krieg zuwendet, beginnt es als psychologisch fein gedrechselter Gesellschaftsroman und bitterböse Gesellschaftssatire.

Da kann sich eine Gartenparty zum Geburtstag von Blacketts bereits greisem Mitinhaber Webb schon einmal über sechzig Seiten hinziehen. Man trinkt Champagner, vorbei an akkurat getrimmten Hecken führt der Weg zu Swimmingpool, Orchideenhaus und Tennisplatz. Es ist eine groteske Selbstfeier dafür, dass 1819 ein britischer Handelsagent eine Niederlassung gegründet hatte, aus der die Wirtschaftsmetropole Singapur erwuchs. Die Briten verwandelten die Region in eine „großostasiatische Wohlstandssphäre“. Nur dass vom Wohlstand bei den Einheimischen so gut wie nichts ankam.

Die Abgründe hinter der Glorie des Empires

Besonders böse ist die Szene, in der Blackett einen Reporter in die Methoden einweiht, mit denen sein Unternehmen aufgestiegen ist. Bei Spekulationen am Reismarkt werden Absprachen mit den Händlern getroffen, die dafür sorgen, dass den Bauern nur minimale Preise bezahlt werden müssen. „Vielfalt an Handelsgütern ermöglicht Aufstieg“, schlägt der Journalist als Headline vor. Am Ende sind die Bauern ruiniert und müssen ihr Land verlassen. Headline: „Bauern gehen auf Reisen“. Beim Kautschuk wächst wegen des expandierenden Gummigeschäfts die Rendite noch weiter. Die Firma erwirbt große Plantagen, baut ihre Macht zum Kautschuk-Monopol aus, aus ehemaligen Besitzern werden Handlanger. Headline: „Gummiboom puffert Finanzen.“

Die Geschichte des britischen Empire ist eine Erfolgsgeschichte. Für die Briten. Darunter tun sich Abgründe auf. „Möglichkeiten des Zivilschutzes für Ihr Haustier“ lautet der Titel eines Vortrags, mit dem die Stadtbewohner sich auf den Bombenkrieg vorbereiten. Die Tierliebe übersteigt ihre Menschenliebe. Stets bleibt der Rassismus präsent. Latent, wie auf stolz präsentierten Fotos, die britische Ausflügler bei luxuriösen Picknicks zeigen, während ihre asiatischen Diener, Köche, Fahrer sehr klein am Rand stehen. Oder ganz offen im verächtlichen Smalltalk über einen Manager, der eine „Sengah“ geheiratet hat. „Halb und halb ... ein Mischling ... ein gemixter Drink! Man erkennt sie gleich an der Chichi-Art zu reden ... Keiner will, dass die Kinder nachher mit so einem Akzent sprechen.“

Das Original erschien in Großbritannien bereits 1978, kurz vor Farrells Tod

„Singapur im Würgegriff“, Abschlussband von James Gordon Farrells „Empire Trilogy“, kam 1978 in Großbritannien heraus. Ein Jahr später ist der Autor, gerade einmal 42 Jahre alt, in der irischen Bantry Bay ertrunken. Farrell kannte das Gefühl, ein Außenseiter zu sein. In Irland werde er für einen Engländer gehalten, in England für einen Iren, hat er gesagt. So hat er vom Kolonialismus auch aus der Perspektive der Kolonialisierten erzählen können, angefangen mit seinem Roman „Troubles“ über den Unabhängigkeitskrieg von 1919 bis 1921. Für seinen tragikomischen Bericht „Die Belagerung von Krishnapur“ über den indischen Sepoy-Aufstand 1857/1858 wurde Farrell mit dem Booker Prize ausgezeichnet. Dass seine Weltreich-Trilogie nun auf Deutsch vorliegt, ist ein später Glücksfall. „Strahlender denn je schwebte der Mond wie eine große Lampe über den beiden schwarzen Dschungelwällen, leuchtete so hell, dass jeder (...) auf dem Asphalt der Straße deutlich seinen Schatten sah. (...) Dann endlich kam, wie ein lähmender Hieb aus dem Dunkel, endlich jener Ton, auf den er so lange gewartet hatte, das erste Gewehrfeuer.“ So beginnt eine Dschungelschlacht am Slimfluss, mit der amerikanische und britische Truppen die auf Singapur vorrückenden Japaner aufzuhalten versuchen.

Hier treffen der englische Soldat Sinclair und der japanische Gefreite Kikuchi aufeinander. Beide sind vom fahlen Glanz des Mondlichtes entzückt. „Einmal fing die Klinge des Bajonetts einen Strahl dieses Mondlichts ein, und Kikuchi dachte: Wie schön!“ Der Kampf wird trotzdem zum Gemetzel, mit Bajonettangriffen und Japanern, die in einer Hand einen Revolver halten und in der anderen ein Schwert schwingen. Helden gibt es bei Farrell nicht. Nur Davongekommene.

James Gordon Farrell: Singapur im Würgegriff. Roman. Aus dem Englischen von Manfred Allié. Matthes & Seitz, Berlin 2017. 830 S., 30 €.

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