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Die Fluchtroute. In der Szene spielen Zaher Alchihabi, Ahmad Shakib Pouya, Esther Jacobs-Völk, Kai Preußker, Matthias Siddhartha Otto, Cornelia Lanz und Houzayfa Alrahmoon mit (von lks.).

© Lioba Schöneck

Singen für die Freiheit: Nur mutig, mein Herze

Mozart für die Gegenwart: Ein Münchner Opernprojekt gibt Geflüchteten mit „Zaide“ eine Stimme.

Es kommt ja öfter mal vor, dass bei einer Opernproduktion ein Sänger kurzfristig ausfällt; eine Begründung wie in diesem Fall dürfte allerdings selten sein. Im Dezember vergangenen Jahres meldete der Veranstalter des Mozart-Singspiels „Zaide“ auf seiner Webseite: „Ahmad Shakib Pouya, der die Rolle des Gomatz spielt, soll am 22.12. nach Kabul abgeschoben werden.“ Zum Glück ist es dazu nicht gekommen, der 30-jährige afghanische Sänger darf vorläufig in Deutschland bleiben.

Womit eines der außergewöhnlichsten Musiktheaterprojekte der vergangenen Jahre ungefährdet an den Start gehen konnte: „Zaide“, Mozarts kaum gespieltes Opernfragment, in einer Fassung, in deren Mittelpunkt nicht nur thematisch Flucht und Angst vor elender Herrschaft stehen. Die Akteure wissen aus eigener Erfahrung, wovon sie singen, spielen und tanzen. Die meisten von ihnen sind geflüchtete Künstler aus Syrien, Afghanistan, Irak, Iran und Nigeria. Nach mehreren Aufführungen in Augsburg und einer Fernsehaufzeichnung hatte „Zaide“ jetzt in München Premiere.

Eine Ouvertüre komponierte der damals 23-jährige Mozart für dieses Singspiel (das als Fingerübung für die „Entführung aus dem Serail“ gilt) nicht mehr; er brach die Arbeit daran ab, weil er keine Chance für eine Aufführung sah – und so bleibt das Orchester am Anfang dieser Produktion in der Alten Kongresshalle stumm. Stattdessen erklingt eine arabische Melodie, ein arabisches Lied zur Harmoniumbegleitung, gesungen von eben jenem Afghanen, dem die Abschiebung droht. Und auch im weiteren Verlauf des Abends ist weit mehr von Bomben auf Aleppo, von Ausländerbehörden und eiskalten Nächten im Heim die Rede als von der ursprünglichen Liebesgeschichte zwischen der Sklavin Zaide und ihrem Leidensgenossen Gomatz, die vor dem fiesen Sultan Soliman die Flucht ergreifen.

Haben wir es hier nun mit einem Stück gut gemeinter Flüchtlingsarbeit zu tun? Nach der Willkommenskultur jetzt die Willkommenskunst? Keineswegs. Dieser „Zaide“-Produktion liegt ein radikales künstlerisches Konzept zugrunde: Hier wird ein Stück nicht „aktualisiert“, hier gibt es keine kleinen oder größeren Anspielungen und Verweise – die ganze Aufführung ist Aktualität. Jede Figur, jeder (dazugeschriebene) Dialog, ja selbst die Arien atmen den Drang nach Befreiung, nach Freiheit, die Sehnsucht nach einem Ort, in dem Leben und Liebe ohne Angst möglich ist. Das ist anrührend und mitunter auch komisch, etwa wenn der Sklave Allazim, der hier als Schlepper auftritt, mit der Schwimmweste wedelt und singt: „Nur mutig, mein Herze, versuche dein Glück!“

Mozarts „Zaide“ ist ein Stück, das zu solchen wagemutigen Neudeutungen geradezu einlädt. Das Libretto verschollen, die Musik viel zu kurz für eine abendfüllende Aufführung, das Ende offen – das lässt Raum für Spielereien.

Die meisten Inszenierungen behelfen sich mit einem zweiten Mozart-Werk. Hier dagegen entwickeln die Akteure eine inhaltliche Idee, verhelfen dem Fluchtthema zu einer künstlerischen Form. Die vielleicht auch deshalb so beeindruckend funktioniert, weil das (manchmal etwas laienhafte) Bühnengeschehen von einem perfekten Orchester gesteuert wird, in dem Mitglieder der Münchner Philharmoniker, des Gärtnerplatztheaters und der Stuttgarter Oper sitzen.

Flucht und Flüchtlinge im Kino, im Theater, in der Kunst? Bis jetzt hat der Kulturbetrieb das Thema ziemlich verschlafen. Schon deshalb ist dieser Versuch bemerkenswert. Man sollte derartige Stücke dringend in die Spielpläne integrieren.

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