zum Hauptinhalt

Kultur: Singen, schweben, implodieren

Skandinavische Sehnsuchtslandschaften: Norwegens Songwriter- Star Thomas Dybdahl kommt ins Tacheles

Von Gregor Dotzauer

Haben wir gleich, sagt Gerald immer, wenn wir uns mit unseren Gitarren zum rituellen Hausmusikabend treffen. Und auch bei Thomas Dybdahls Lied „From Grace“ hatte er es gleich. Sonnenklarer Viervierteltakt, erklärte Gerald. Teil A. Teil B. Dazwischen diese Mini-Brücke. Und harmonisch ein Klacks. Zuerst D-Moll, G-Dur, A-Moll, dann C-Dur, F-Dur, A-Moll. Für Anfänger. Und das mit dem Gesang kriegen wir auch hin. Gerald hat Musik studiert, er lebt vom Unterrichten. Wenn es darauf ankommt, spielt er die schnellste Gitarre zwischen Main und Donau. Er ist ein begnadeter Fingerpicker, ein Spezialist für alternative Stimmungen, und er macht einem mit seinem Instrumente- und Effektgerätepark den Bill Frisell genauso gut wie den Eddie Van Halen oder den Andrés Segovia. Und obwohl er es an unseren Hausmusikabenden mit einem verzweifelten Dilettanten zu tun hat, ist es oft erstaunlich, wie viel in einem kleinen Wohnzimmer von einem Lied übrig bleibt, da zwei Leute auf ihren akustischen Gitarren zusammen schrammeln. Bis wir auf Thomas Dybdahl stießen.

Im Sommer hatten wir uns fast gleichzeitig in das erste Album des Norwegers verliebt, das Werk eines 23 Jahre alten Sängers und Songwriters, das den Rest Europas über seinen deutschen Vertrieb Glitterhouse Records mit zwei Jahren Verspätung erreichte. Wir wussten noch nicht, dass „…that great October sound“ in Dybdahls Heimat ein Riesenerfolg geworden war, ausgezeichnet mit allen Preisen, die sich ein Musiker dort nur wünschen kann: mit dem Spellemanprisen und dem Alarmprisen 2003, also dem normalen und dem alternativen Grammy, dazu mit dem Edvardprisen für den besten Popsong. Das war „From Grace“, die Single-Auskopplung, die monatelang im nationalen Rundfunk lief. Für uns war sie zunächst ein sleeper, ein melancholisches Folkgitarrengespinst mit eigentümlichem Falsettgesang, aus dem das ständig wiederkehrende Wort „weakness“ herausstach.

Um ein Haar hätte es das Lied nicht einmal so weit gebracht. Denn so, wie sich Dybdahl auf dem Cover präsentierte, mit Vollbart, getönter Brille und Goldkette über dem gerippten Unterhemd, auf dem ein gedruckter Cadillac davonrauscht, sah er völlig anders aus, als er sich anhörte. Nicht wie ein empfindsamer junger Mann, sondern wie ein ganz harter Junge aus dem vorstädtischen Proletariat. Aber dann erwachte „From Grace“ – „dedicated to a very special girl“ – aus seinem Dämmerdasein und stahl sich hinein in unsere Ohren, ähnlich wie das Lied selbst, das mit einer langsamen Aufblende beginnt, bevor es in seiner ganzen Pracht erblüht.

Unter unseren Händen wurde es ein jämmerliches Herumgezupfe. Konturlos. Hölzern. Plump. Auch beim zehnten Versuch nicht annähernd so zum Schweben zu bringen, wie Dybdahl es verstand. Aber was war es? Was hatten wir nicht verstanden? Fehlte uns der mächtige Kontrabass, der im Hintergrund herumspaziert? Die steel guitar, die ein paar Country-Wolken vorübersegeln lässt? Oder brauchten wir die Schlagzeugbesen, die den ehernen Viervierteltakt swingend verwischen? Entschuldigungen lassen sich immer finden. Doch die plausibelste Erklärung liegt darin, dass Dybdahl Eigenheiten hat, die sich bei aller grundsätzlichen Einfachheit schon rein motorisch nicht imitieren lassen. Und: Dass er seine Stücke nur aufnimmt, wenn für ihn die Atmosphäre stimmt. Man kann Dybdahl, der ein solider, doch keineswegs virtuoser Gitarrist ist, technisch zehn Mal übertreffen: Solange man seine Kunst, jedem einzelnen Ton, jedem Slide-Glissando Bedeutung zu verleihen, nicht beherrscht, ist man den Wundern seiner home recordings ausgeliefert. Mal schlingert ein Streicher-Loop durch einen Song, mal plustert sich eine Hammondorgel auf, mal knistert es vinylisch – Details, die in Dybdahls skandinavischen Sehnsuchtslandschaften doch alles andere als Gags sind. „Ich versuche, mit meiner Kraft zu implodieren“, sagt er. Und so wissen seine Musikerfreunde, die unabhängig von ihm ihre Parts aufnehmen, meistens erst, welchen Beitrag sie geleistet haben, sobald sie ein fertiges Stück hören oder es für die ungleich energischeren Live-Auftritte üben.

Die elf Stücke von „…that great October sound“ (zuzüglich eines hidden track) gehören mit ihren Mundharmonika- und Bottleneck-Beimischungen wie von den Kompositionen her im weitesten Sinne zum Genre des Folk. Zugleich sind sie offen nach allen Richtungen: voller Ehrfurcht vor den elektrisch gewitternden Suiten von Metallica, der Band, mit der er Gitarre spielen lernte. Mit Bewunderung für den Pop-Mainstream der norwegischen Band The September When, die seine Musikbegeisterung endgültig zur Obsession werden ließ. Und voller Neugier auf zeitgenössische E-Musik wie die des Komponisten Morton Feldman, dessen stille, an der Grenze zum Verlöschen angesiedelte Dissonanzen er auf dem Album „Something Wild: Music for Film“ kennen lernte. Feldman hat er mit dem Stück „Postulate“ ein Tribut gewidmet: Zu einer Gitarrenschleife kann man das Interview eines deutschen Journalisten mit dem verstorbenen amerikanischen Meister hören.

Bei alledem geht es ums Jungsein, um die Einsamkeit und, natürlich, um Mädchen, in Texten, die nicht halb so interessant sind wie die Musik. Die hausmusikalische Arbeit an „...that great October sound“ haben wir übrigens aufgegegeben. Aber jedem, der uns eines der beiden neueren, bisher nur in Norwegen erhältlichen Alben „Stray Dogs“ und „One day you’ll dance for me New York City“ besorgt, versprechen wir ein Hauskonzert mit deutschen Weihnachtsliedern.

Thomas Dybdahl tritt heute um 21 Uhr im Café Zapata im Tacheles auf.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false