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Kultur: Sinn und Reform

Nach Muschgs Rücktritt: Vizepräsident Matthias Flügge über die Zukunft der Akademie der Künste

Herr Flügge, Sie äußern „ein gewisses Verständnis" für den Rücktritt des Präsidenten Adolf Muschg. Warum ein „gewisses“?

Ich verstehe, dass der Präsident die verfahrene Situation der Akademie klären wollte, indem er sich aus der Konfrontation zurückzieht. Gleichzeitig bedaure ich seinen Rücktritt außerordentlich, weil uns das Akademie-Gesetz, das nächstes Jahr in Kraft tritt, weitgehende Reformmöglichkeiten zur Überwindung der reinen Sektions-Orientiertheit eröffnet. Beispielsweise werden die Mitglieder und die Abteilungsdirektoren künftig nicht mehr von den Sektionen gewählt, sondern von der Mitgliederversammlung. Die Sektionen schlagen nur noch vor. Außerdem kann die Mitgliederversammlung demnächst vier Senatsmitglieder direkt wählen, die nicht unmittelbar die Interessen der Sektionen vertreten. Bislang wird der Senat ja aus den Abteilungsdirektoren bestellt, die Adolf Muschg als Erbhofwächter mit Korpsgeist kritisiert. Mit den vier direkt Gewählten hätte der Präsident ein hoch qualifiziertes Team zur Seite, das sektionsübergreifend tätig werden kann – genau das, was Adolf Muschg möchte.

Auch der frühere Akademie-Präsident Walter Jens spricht von einer „Dominanz der Eigeninteressen“, sogar von einer „catilinarischen Verschwörung“ gegen Muschg.

Hinter das Gesetz, an dessen Ausarbeitung die Akademie beteiligt war, kann und will niemand zurück, auch wenn der ein oder andere die Umstrukturierung für überflüssig hält. Strittig ist nur die konkrete Ausformung in der Satzung. Diese wurde bei der letzten Mitgliederversammlung diskutiert. Adolf Muschg hat sich an der Debatte nicht beteiligt, aber am Ende gesagt, er könne die Satzung nicht mittragen, da sie die anachronistische Abteilungsstruktur zementiere. Dieser Meinung bin ich nicht. Die Möglichkeit zur Stärkung von gemeinsamen Projekten ist mit der neuen Satzung gegeben.

Alle sind sich einig, trotzdem gibt es Streit?

Der Präsident hat zu wenig für seine Vision geworben und konstatierte den kompletten Unwillen der Abteilungen. Er glaubte offenbar, wenn er nur oft genug die Öffnung zum Interdisziplinären betone, werde sie schon stattfinden. Ich dagegen denke, dass man die demokratische Akademie, die ja aus hochgradig individualistischen Einzelpersönlichkeiten besteht, vom notwendigen Kulturwandel überzeugen muss. Dieser Willensbildungsprozess dauert manchmal länger, als auch ich es mir wünsche, aber Adolf Muschg hatte noch weniger Geduld.

Schadet oder nutzt die Veröffentlichung des internen Zwists dem Reformprozess?

Ich bin nicht glücklich darüber, dass Dinge mit Aplomb an die Öffentlichkeit gezerrt wurden, die noch nicht ausdiskutiert sind. Wenn sich Muschg in der nächsten Mitgliederversammlung eine Abfuhr geholt hätte und dann zurückgetreten wäre, hätte man das noch unter Stilgesichtspunkten kritisieren können. So ist es leider mehr als eine Stilfrage.

Wird die Versammlung vorgezogen, schon wegen der Wahl eines neuen Präsidenten?

Ja, die Wahlversammlung wird vorgezogen, wir suchen gerade nach einem Termin, voraussichtlich Anfang Februar. Denn die alte, noch gültige Satzung besagt, dass nur die Mitgliederversammlung den Rücktritt des Präsidenten entgegennehmen kann. Bis dahin bleibt Adolf Muschg nominell im Amt.

Die Akademie hat einen Beratungsauftrag gegenüber der Politik. Hat sich dieser Auftrag heutzutage nicht überholt?

Wir verstehen ihn vor allem so, dass die Akademie ein Podium bietet, auf dem unter der Ägide der Kunst die Fragen verhandelt werden, die für die Gesellschaft wichtig sind. Der Beratungsauftrag ist nicht per se anachronistisch; wir beraten in Gremien, städtebaulichen Kommissionen oder Rundfunkräten. Aber das bedeutet nicht, dass die Akademie sich mit einer einheitlichen Meinung quasi monolithisch in öffentliche Debatten einmischt. Sie kann nur durch die Summe ihrer Mitglieder sprechen. Beim Kosovo-Krieg gab es eine einheitliche Meinung, beim IrakKrieg nicht. Da sprach sich der damalige Präsident György Konrad aufgrund seiner Lebenserfahrung für einen Einmarsch der Amerikaner aus, während die Mehrheit der Mitglieder anderer Meinung war.

Die Ausstrahlung der Akademie in die Öffentlichkeit ist zu gering, sie gilt als verschlafen. Was wollen Sie dagegen tun?

Die Akademie wird wesentlich über ihren Präsidenten wahrgenommen, über das Maß, in dem er es versteht, Positionen öffentlich zu besetzen und zu vertreten. Zum Zweiten gelingt es uns nicht genügend, die vielfältigen Programme der sechs künstlerischen Sektionen nach außen darzustellen. Drittens hapert es bei der Präsentation unserer Veranstaltungen und Ausstellungen, auch wegen unserer baulichen Situation am Pariser Platz.

An Günter Behnischs Glashaus können Sie nichts mehr ändern.

Muschg hatte sehr schön ausgearbeitet, welche neuen Formen man im Glashaus ausprobieren kann. So wollen wir am 23. Januar, dem 20. Todestag unseres Mitglieds Joseph Beuys, fragen, was uns Beuys heute bedeutet, und das gesamte Haus bespielen. Es ist multifunktional gebaut, die Raumebenen durchdringen sich. Wir haben uns bei unseren Bespielungsideen zu sehr auf den Plenarsaal und die Ausstellungshallen konzentriert. Aber es ist nicht einfach, dem Raumprogramm Rechnung zu tragen. Und die Black Box im Keller als zentraler Ort für Experimentelles steht uns immer noch nicht zur Verfügung. Die historische Akademie von Ihne galt als der schönste Ausstellungsort Europas. Wir hofften mit Behnischs Bau auf die schönsten Ausstellungsräume zumindest Berlins. Aber jetzt haben wir eine mit Gipswänden verkleidete, nicht klimatisierbare, aus der Proportion geratene Architektur.

Aber die Akademie ist nicht nur Opfer falscher Planung. Ihre Architekturabteilung war an der Konzeption für den Berliner Platz doch selbst beteiligt.

Nein, nein, wir sind in der Tat keine Opfer. In der Entwicklungsphase des Neubaus hat es auch bei uns Versäumnisse gegeben; diesen Vorwurf muss sich die Akademie gefallen lassen. Wir waren allerdings nicht Bauherr, wir sind Nutzer. 1997 wurde uns das Haus zur Hälfte weggekürzt, das Ergebnis ist ein fauler Kompromiss, den wir zu wenig ins Gute wenden konnten. Dann wurde auch noch der Archivriegel abgetrennt, und das Archiv wanderte unter die Erde, jetzt haben wir den Terror mit Schimmel und Wasser im Keller. Es lag ein schlechtes Karma in der Dynamik des Baugeschehens. Jetzt haben wir extrem viel Raum, aber wenig Platz.

Zurück in die Zukunft: Wie lange wird es noch dauern, bis der Reformprozess in der Akademie der Künste vollzogen ist?

Eine große Zahl von Mitgliedern ist genau wie Adolf Muschg an anderen, intensiver in die Öffentlichkeit wirkenden Vermittlungsformen von Kunst und Kultur interessiert. Bei der Reform kommt es auf diesen Gedankeninhalt an, die Strukturfrage ist nachgeordnet. Wenn die, mit einem neuen Präsidenten, vom Tisch ist, kommen wir sicher schnell voran.

Das Gespräch führte Christiane Peitz.

Matthias Flügge , 53,

ist Vizepräsident der Berliner Akademie der Künste. Der Kunstwissenschaftler leitet die Geschäfte nach Adolf Muschgs Rücktritt bis zur nächsten Mit-

gliederversammlung.

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