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König, allein vorm Haus. Schwedens Carl Gustaf nach einer Jagd.

© Reuters

Skandale: Happiges Schweden

Und die Krimis hatten doch Recht: Das skandinavische Musterland Schweden ist ein Sündenpfuhl.

Eva Gabrielsson hat es geahnt: „Schweden ist nicht so schön, wie viele meinen. Ich glaube, wir haben da ein treffendes Bild von unserem Königreich gezeichnet. Da wird viel unter die Matte gekehrt. Da gibt es Korruption. Und da gibt es Behörden, die Gewalt ausüben. Und niemanden, der das kritisiert.“ So sprach die Lebensgefährtin und Koautorin des Krimiautors Stieg Larsson nach dessen frühem Tod. „Verblendung“, „Verdammnis“, „Vergebung“ – so lauteten die Titel ihrer Millennium-Trilogie.

Jetzt aber ist real, was bisher nur in sinistren Krimiplots für Spannung sorgte. Da sind die armen, jungen Mädchen aus den Vororten von Stockholm, die der König und seine Herrenclique aus der Unterwelt zum Beischlaf „überredeten“. Da gibt es Zuhälter und andere Gestalten, die ihre Macht so rücksichtslos ausübten, dass sich Stockholmer Journalisten nicht trauten, über die offensichtlichen Auswüchse der Sexsucht des Königs zu berichten. Über bestimmte Dinge schrieb man einfach nicht, wenn einem das eigene Leben oder zumindest die eigene Karriere lieb waren. Auch jetzt noch werden die Skandale, die Thomas Sjöberg in seiner Biografie „Der widerwillige Monarch“ enthüllt hat, wie heiße Kartoffeln behandelt. Es ist wie in Stieg Larssons bedrückenden Romanbestsellern: Engagierte, zumeist junge Menschen werden ins Abseits gestellt und verfolgt, abweichende Meinungen kaum geduldet. Das System, in dem die Mächtigen einander den Rücken kraulen, gilt als weitgehend intakt. Und König Carl Gustaf hat man längst verziehen, auch wenn der letzte Bordellbesuch erst vor zwei Jahren in Bratislava stattgefunden haben soll. Der Tenor in den erstaunlich gleichklingenden Medien Schwedens: Lasst ihn doch in Ruhe!

Einer Journalistin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die an der Carl-Gustaf-Biografie mitgearbeitet hat, wurde sogar gekündigt, nur weil sie eben an der ersten kritischen Biografie des Königs mitgearbeitet hat. Inzwischen soll die Kündigung zurückgenommen worden sein. Der Gangster, der in dem Buch von den königlichen Schweinereien berichtet, plauderte übrigens schon seit Jahren darüber – aber niemand interessierte sich dafür. Stattdessen kam er wegen Erpressung ins Gefängnis.

Anders als Deutschland, in dem sich nach dem Zweiten Weltkrieg so etwas wie Pluralismus herausgebildet hat, ist Schweden eine Monokultur. Zu dieser gehört es, dass man den Staat nie angezweifelt hat – nicht mal nach dem Mord an dem charismatischen Regierungschef Olof Palme. Die Tat ist bis heute nicht aufgeklärt, aber die Schweden zogen es vor, an die Legende vom sauberen Königreich zu glauben. Dieser Sicht zufolge meinten es dann auch die ewig regierenden Sozialdemokraten immer nur gut. Skandale wie die Bordellbesuche hoher Politiker verschwanden schnell aus den Medien und dem Bewusstsein. Nun tauchen zum ersten Mal Berichte über die sogenannte „Freundschaftskorruption“ in zahlreichen Kommunen auf, wo seit Jahren dieselben Politiker und Beamten am Drücker sind und Systeme aus Abhängigkeiten und Gefälligkeiten etabliert haben. Das so etwas öffentlich wird, ist das eigentlich Bemerkenswerte.

Der Heilige Gral des sozialdemokratischen Umverteilungsstaats ist bis heute die Steuerbehörde. Selbst die Kinderbuchautorin Astrid Lindgren musste einst vor ihr einen Rückzieher machen. Nachdem sie in einem Interview kritisiert hatte, dass sie für ihre Bücher „102 Prozent Einkommenssteuer“ zahle, hieß es schon kurz darauf: Lindgren trage natürlich gern ihr Scherflein zum Allgemeinwohl bei und respektiere die Entscheidungen der Steuerbehörde.

Nun bringt ein räuberischer Finanzbeamter, der wahrscheinlich auch noch Komplizen in seiner Abteilung hat, den unantastbareren Ruf der Behörde erstmals in Verruf. Der Mitarbeiter des Finanzamts Stockholm hat den schwedischen Steuerzahler um mindestens 120 Millionen Kronen (12 Millionen Euro) betrogen. Der 42-Jährige hatte mit mindestens drei Mitangeklagten ein Unternehmen gegründet. Zumindest auf dem Papier. Über falsche Rechnungen genehmigte er dieser Firma dann bei der Steuererklärung Umsatzsteuerrückzahlungen in Millionenhöhe. „Niemand wäre auf die Idee gekommen, ihn wegen irgendetwas zu verdächtigen. Er war schon so lange im Dienst“, erklärt ein Ermittler.

Dabei hat der Fall ein langes Vorspiel. In der betroffenen Abteilung hatte es schon zuvor Betrügereien gegeben. Bereits 2004 musste ein Beamter gehen, auch ihm warf man die Gründung einer Scheinfirma vor. Doch damals sprach ihn ein Gericht sonderbarerweise frei, obwohl bereits mehrere Millionen Kronen auf sein Konto geflossen waren. Er führte damals ein abschließendes Gespräch mit seinem Arbeitgeber und der Fall war erledigt – und das im Hochsteuerland Schweden, wo selbst kleinste Unregelmäßigkeiten in Steuererklärungen mit drakonischen Strafen geahndet werden können.

Ist Schweden tatsächlich ein so düsterer Ort, wie der 2004 verstorbene Journalist Stieg Larsson es in seinen weltweit erfolgreichen und auch verfilmten Büchern beschrieben hat? Teilweise ja. Ehrlichkeit, protestantische Verlässlichkeit und Bescheidenheit: All das existiert noch in einem Staat, der einen dritten Weg zwischen Kapitalismus und Sozialismus suchte. Doch der Firnis ist zerbrochen. Krimis von Sjöwahl/Wahlöö, Henning Mankell, Hakan Neser oder Liza Marklund schienen Fantasieprodukte einer saturierten Gesellschaft zu sein. Eine Art psychischer Blitzableiter, kein realistischer Spiegel. Man hat sich getäuscht. Schwedische Krimis sind so dunkel, weil sie tief in der Wirklichkeit wurzeln.

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