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Bei Stalin (v. l. n. r.): Alexander Klages, Stephan Szász, Achim Wolff und Robert Kotulla in "Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand".

© Barbara Braun

Jonas Janssons "Hundertjähriger" im Theater am Ku’damm: Slapstick mit Schelm

Jonas Janssons Bestseller „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ ist im Theater am Ku’damm zu sehen. Das Prinzip: schelmischer Schattenmann mit welthistorischer Wirkung.

Vor diesem Gesang kann man ja wirklich nur ganz schnell Reißaus nehmen. Das leiernde „Hoch soll er leben!“ klingt nach Grabestiefen, und für den Friedhof fühlt sich der hundertjährige Allan Karlsson noch lange nicht bereit. Also entflieht er seiner eigenen Geburtstagsfeier durchs Fenster des Altersheims in Malmköping. Um sich gleich darauf in eine überbordende Abenteuerhatz mit einem Koffer voller Drogengeld in der Hand und Verbrechern wie Polizei auf den Fersen verwickelt zu sehen.

Diesen Plot kennen Millionen Leser und seit kurzem auch die Kinozuschauer. Der Schwede Jonas Jonasson hat mit seinem Schelmenroman „Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand“ einen so gigantischen Überraschungswelthit gelandet, dass Verfilmung und sonstige Adaptionen zwangsläufig folgen mussten. Restzweifel durften allerdings bleiben, ob sich Jonassons literarisches Roadmovie auch für die Bühne eignet. Schließlich hat das Buch mehr Schauplätze und Figuren als eine handvoll James-Bond-Filme. Es erzählt ja nicht nur von der Eskapade des aufmüpfigen Alten, sondern auch von dessen abstrus-komischer Verwicklung in die Geschichte des 20. Jahrhunderts.

Im Theater am Ku’damm ist nun – zumindest über weite Strecken – das Gelingen dieser Bestsellergaukelei zu sehen. In Zusammenarbeit mit dem Altonaer Theater in Hamburg bringt Regisseurin Eva Hosemann die Geschichte vom Sprengstoffmeister Allan Karlsson, der Truman, Stalin und Mao getroffen, Ost und West die Atombombe beschert und sich dabei stets sein schnapsseliges Gemüt bewahrt hat, mit zehn Schauspielern in über 50 Rollen auf die Bretter.

Großer Simplicius-Slapstick

Bühnenbildner Stephan Bruckmeier hat dazu ein schlüssiges Setting aus drei hintereinander gestaffelten weißen Rahmen entworfen, zwischen denen lustig beschriftete Pappkulissenteile auf- und abfahren: Alter Bahnhof im Wald, Esstisch, Donnerbalken. Das entspricht der comichaften Überzeichnung der Vorlage, die ja auch ein großer Simplicius-Slapstick ist, voll mit Film- und Literaturverweisen, von Baron Münchhausen über Woody Allens „Zelig“ bis zum Neuzeittoren „Forrest Gump“. Das Prinzip: schelmischer Schattenmann mit welthistorischer Wirkung.

Für Politik interessiert er sich nach eigenem Bekunden nicht, der gute alte Karlsson, den Stephan Szász in munteren Zeitsprüngen spielt. Einmal als Fluchtgreis mit Entourage aus dauerfluchender Elefantenlady Gunilla (Anna Stieblich), Gelegenheitsdieb Julius (Achim Wolff) und ewigem Studenten Benny (Merten Schroedter). Und das andere Mal in Rückblenden als agilen Gimpel und Globetrotter, der mit Einsteins unbekanntem Bruder Herbert (Christoph Schüchner) in Sibirien einsitzt, mit iranischen Marxisten den Himalaya überquert und in Nordkorea eine Begegnung mit Kim Il-Sung (Robert Kotulla) und Kim Jong-Il (Karim Cherif) hat. Ein fröhlich zusammengeklittertes Schießbudenfigurenkabinett.

Die Inszenierung hätte allerdings deutlich mehr Tempo vertragen. Und Kürzungen. Fast dreieinhalb Stunden braucht Hosemann, um sich durch die 400 Romanseiten zu arbeiten. Das fühlt sich vor allem gegen Ende, wenn die ganze Geschichte für den ermittelnden Kommissar noch einmal als Lügenmärchen aufgerollt wird, wie ein hundertster Geburtstag an, bei dem die Kerzen auf der Torte einfach nicht auszublasen sind.

Vorstellungen bis 29. Juni täglich außer Montag.

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