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Kultur: So ist es. Warum ist es nicht anders?

Jonas Pfister führt mit einem faszinierenden Philosophielehrbuch in die Sache des Denkens ein

Der Ton dieses kleinen, klugen „Lehrbuchs“ der Philosophie ist wohltuend sachlich. Das muss man betonen. Schließlich kommen nach wie vor Einführungen auf den Markt, die raunend den Zugang zu einer „faszinierenden Welt“ versprechen, statt offen zu sagen, dass Philosophieren eine geistige Anstrengung und eine Wissenschaft ist, mit einer eigenständigen Methode, einem Katalog systematischer Fragen und oft schwer verständlichen Texten.

Der in Bern lehrende Jonas Pfister weckt keine falschen Erwartungen. Er wendet sich an alle, die sich auf die Arbeit des Denkens einlassen wollen: „So wie einige Menschen gerne Fußball spielen und andere mathematische Gleichungen lösen, finden wiederum andere Gefallen daran, sich mit dem Denken auseinanderzusetzen.“ Um diese Freude zu fördern, hat sich Pfister für einen ungewöhnlichen Weg entschieden. Selbstverständlich sind auch in seinem Lehrbuch, epochenweise geordnet von der Antike bis zur Gegenwart, die Großbegriffe zu finden, deren Klärung zum Metier der Philosophie gehört. Die Kapitel sind in sich abgeschlossen. Mit welchem man einsteigt, ob mit Geist, Gott oder Gerechtigkeit, mit Erkenntnis, Kunst oder Angewandter Ethik, bleibt jedem selbst überlassen. Ist die Entscheidung allerdings gefallen, gibt es keine Chance, sich entspannt zurückzulehnen. Pfister stellt die maßgebenden Positionen nur dar, um sie anschließend diversen „Einwänden“ auszusetzen. Gefolgt von einer „Erwiderung“, vielleicht noch einer „Erwiderung auf die Erwiderung“, die aber auch keinen Endpunkt setzt. Die Fragen bleiben offen, heißt das, und dass man dazu aufgefordert ist, die Thesen von Descartes oder Kant, von Karl Marx, Simone de Beauvoir oder Peter Singer nicht einfach hinzunehmen. Man soll sie prüfen, um die Einwände und Erwiderungen nachzuvollziehen. Denn das ist die Pointe dieses Lehrbuchs: Pfister nimmt ernst, dass man eigentlich nicht die Philosophie, sondern nur das Philosophieren lernen kann. Und das wiederum am besten, indem man es von Anfang an selbst leistet. Es gibt keinen Stillstand, wenn jedes „So ist es“ zum Anlass wird, um weiter zu fragen: Soll es so sein? Ist es gut so? Warum ist es nicht anders?

Die erweiterte Ausgabe des Lehrbuchs ist nun zusammen mit einem Lesebuch erschienen. Es ist parallel angelegt, dank kurzer Orientierungstexte aber auch separat als Annäherungsversuch brauchbar. Aristoteles beispielsweise schildert in der „Nikomachischen Ethik“ die Situation von Seeleuten, die mit einem voll beladenen Schiff auf hoher See in einen Sturm geraten. Sie entschließen sich, Teile der Ladung über Bord zu werfen, um das eigene Leben zu retten. Werden sie getrieben vom Diktat eines instinktiven Überlebenswillens? Oder ist ihr Handeln ein Beweis der Freiheit, sich so oder auch anders entscheiden zu können?

Jetzt greift man zum Lehrbuch, um die Kernfrage der Freiheit „Können Menschen sich entscheiden, dies oder jenes zu tun? Haben sie einen freien Willen?“ genauer zu erkunden. Der Autor argumentiert mit Aristoteles, Epikur und Cicero. Man atmet auf, Hirnforscher werden hier nicht gebraucht. Deren Strich durch die Freiheit des Willens mit der Behauptung, menschliches Tun und Lassen werde von Zuständen des Gehirns bestimmt, wird von Pfister in anderem Zusammenhang überraschend einbezogen. Philosophieren heißt selbstständig denken. Der Autor praktiziert es, indem er Modedebatten ignoriert. Auch Grabenkämpfe interessieren ihn nicht, die das Fach jahrzehntelang in konkurrierende Lager teilten: eine sprachanalytische, der Logik streng verpflichtete Philosophie einerseits – andererseits eine Philosophie der metaphysischen Sinn- und Lebensfragen. Und dazwischen nur die Brücke wechselseitiger Verachtung. So war das tatsächlich. Warum eigentlich musste das so sein?

Der 1977 geborene Pfister konzentriert sich ausschließlich darauf, das Handwerk des Philosophierens zu vermitteln. Versiert lotst er durch die Massen des Stoffs, kommentiert präzise die weiterführende Literatur und sorgt mit Zusammenfassungen dafür, dass man vor lauter Einwänden und Erwiderungen den Boden nicht unter den Füßen verliert. Und dabei gibt es keinerlei Fronten. Sie erübrigen sich deshalb, weil die Logik, der im Anhang ein eigenständiges Kapitel gewidmet wird, zwar entscheidend ist, das aber als Mittel zum Zweck: um klar, genau und folgerichtig zu philosophieren. Um allgemeine Begriffe zu analysieren, eigene und fremde Meinungen zu begründen und die wichtigsten philosophischen Fragen zu stellen – die nach dem guten und möglichst richtigen Leben. Denn wozu sollte man überhaupt philosophieren? Das fragt der Autor, um Wittgensteins Antwort zu zitieren: „Der Zweck der Philosophie ist die logische Klärung der Gedanken.“

So ist es. Und warum? Weil Philosophieren als Tätigkeit des Klärens der Gedanken zum Resultat des geklärten Gedankens führen kann. Zwar nicht ein für allemal, sondern immer wieder, so dass diese Praxis zu guter Letzt auch dabei hilft, das eigene Leben besser zu führen. Die Lektüre der beiden Bücher lohnt sich also. Man hat ein Ziel vor Augen, das man im Grunde schon erreicht, während man noch unterwegs ist. Sobald man nämlich bemerkt, dass es durch Philosophieren gelingt, zumindest für sich selbst, den Hang zum gedankenlosen Daherreden und -denken zu beenden.

Jonas Pfister: Philosophie. Ein Lehrbuch. Zweite, durchgesehene und erweiterte Ausgabe. 304 Seiten, 8,80 Euro

Klassische Texte der Philosophie. Ein Lesebuch. 176 Seiten, 6,60 Euro. Herausgegeben von Jonas Pfister. Beide erschienen im Reclam Verlag, Ditzingen 2011.

Angelika Brauer

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