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So kann’s gehen: Warum ist der Gast beleidigt?

Vor einer großen Familienfeier im Restaurant hat die Gastgeberin ihren Schwager gebeten, sich die Insulinspritze nicht in Anwesenheit der Gäste an der Tafel zu setzen. Er hat das empört zurückgewiesen und deshalb abgelehnt, an der Feier teilzunehmen.

Vor einer großen Familienfeier im Restaurant hat die Gastgeberin ihren Schwager gebeten, sich die Insulinspritze nicht in Anwesenheit der Gäste an der Tafel zu setzen. Er hat das empört zurückgewiesen und deshalb abgelehnt, an der Feier teilzunehmen. Seine Frau, Schwester der Gastgeberin, ist ebenfalls nicht gekommen. Der Mann ist abgesehen von der Diabetes gesund, kann also ohne Probleme kurz in einen Nebenraum gehen.

Der Schwager muss ein ziemlich schwieriger Mensch sein. Welche guten Gründe könnte er denn anführen dafür, dass er sich die Spritze unbedingt vor allen anderen setzen muss? Dass er es nicht nötig hat, sein Leiden zu verbergen? Dass es schön wäre, wenn die anderen Gäste zur Feier des Tages ein bisschen mit ihm mitleiden? Dass er es nicht nötig hat, sich Vorschriften machen zu lassen? Dass er sich gern ein bisschen aufspielt vor anderen? Wahrscheinlich macht es ihm Spaß, seine Mitmenschen mit der Prozedur zu schockieren. Dass die sich besonders bei einem Festessen auch ekeln könnten, lässt ihn völlig kalt.

Auch wenn es ihm sonst an Rücksicht fehlt, hat er mit seiner Absage im Grunde eine gute Tat getan. So ist er der Gesellschaft erspart geblieben. Denn natürlich sollten Gäste immer bemüht sein, verständlichen Wünschen ihrer Gastgeber Folge zu leisten. Ebenso selbstverständlich ist es, nicht mit Erzählungen eigener Gebrechen und Krankheiten die Stimmung heiterer Festgesellschaften zu zerstören. Normalerweise kommt man da von allein drauf, da muss die Gastgeberin nicht erst eine Ermahnung aussprechen. Offenbar kennt sie die Schwächen ihres Schwagers aber ganz gut. Schade, dass seine Frau auch nicht gekommen ist. Das ist falsch verstandene Solidarität. Ich fürchte fast, der Mann hat sie unter Druck gesetzt. Dem sollte man aber unbedingt standhalten. Sonst wird aus einer schlichten Spaßbremse am Ende ein böser Freudenräuber.

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