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Ein Herz für die Türkei? Istanbul, Schauplatz von Staats- und anderem Terror, ist zum Schreckensort geworden.

© dpa

Iran, Ungarn, Türkei: So präsentieren sich unfreie Länder auf der Frankfurter Buchmesse

Auf der Frankfurter Buchmesse präsentieren sich auch Länder, die sich sonst ehr verschließen. Ein Rundgang zu den Kojen Irans, Ungarns und der Türkei.

Von Gregor Dotzauer

Glücklich das Land, das seinen Namen als positives Akronym lesen kann. Für Jhy-Wey Shieh, Taiwans quirligen Botschafter in Deutschland, der erst vor wenigen Wochen sein Amt in der Berliner Markgrafenstraße angetreten hat, stehen die einzelnen Buchstaben für „Travelling Around Is Wonderful And Necessary“. Zum Auftakt der Frankfurter Buchmesse könnte es kein überzeugenderes Motto geben. Dass es Shieh, einem der namhaftesten Germanisten des chinesischen Inselstaats, zwingender erscheinen mag als dem Koloss der Volksrepublik, der sich mit angemessenem Sicherheitsabstand nebenan präsentiert, stellt seine grundsätzliche Richtigkeit nicht in Frage. Niemand ist eine Insel, wie der Dichter John Donne wusste.

Proteste gegen das iranische Regime - vor den Toren

Vielleicht kommen deshalb auch die, die sich sonst nach innen eher verschließen, nach Frankfurt. Für den Iran, der seine Teilnahme im vergangenen Jahr aus Protest gegen den Gastredner Salman Rushdie abgesagt hatte, ist es der Ausweis einer Weltläufigkeit, gegen die man sich nach dem Ende der deutschen Wirtschaftssanktionen schon gar nicht mehr vergehen darf. Die Vereinigung der Teheraner Buchhändler und Verleger hat eindrucksvolle Zahlen mitgebracht, nach denen die Gesamtzahl der veröffentlichten Titel seit der islamischen Revolution 1979 von gut 1800 auf über eine Million angewachsen ist. Nur die Auflagen gehen nach einem Hoch zur Jahrtausendwende wie überall sichtbar zurück. Insbesondere die im offiziellen Rechtekatalog angebotene Literatur wirkt wenig zeitgenössisch. Einen buchstäblich märchenhaften Eindruck hinterlässt auch der Iranische Literatur- und Kulturverein Frankfurt „1001 Nacht“, der sein Zelt draußen auf der Agora aufgeschlagen hat. Dafür fordern Exil-Iraner an einem nur drei Schritte entfernten Stand den sofortigen Abbruch aller politischen Beziehungen mit ihrem Land. Sie prangern vor allem die Todesstrafe an, zu deren Formen die Steinigung gehört.

Die Türken machen einen Bogen um die Gegenwart

Verglichen mit der bei aller Traditionsversessenheit modernen Anmutung des Iran wirkt das lichte und luftige Messeareal der Türkei antiquiert. Die letzten Zahlen über den heimischen Buchmarkt, die als Broschüre verteilt werden, stammen aus dem Jahr 2013. Und die Riesenstapel kostenlos ausliegender Mini-Paperbacks huldigen einer teils Jahrhunderte zurückliegenden Literatur, als müsse man die Gegenwart um jeden Preis aussparen. Da ist es fast ein Akt unfreiwilligen Widerstands, dass sich unter den Bändchen auch eine Auswahl aus Atatürks Reden an das Türkische Volk findet – der kanonische Beginn der modernen säkularen Geschichtsschreibung.

Das neue Ungarn wirbt perfide mit seinen Gegnern

Derweil renommiert man am ungarischen Gemeinschaftsstand noch immer mit den liberalen Köpfen, die den Ruf des Landes als Literaturnation in die Welt getragen haben. Auf den Plakaten sieht man György Konrád, Péter Nádas, György Spiró, Péter Esterházy, Lajos Parti Nagy und László Krasznahorkai, Schriftsteller, die sich mehr oder weniger offen gegen die Zerstörung des freien Geisteslebens durch Präsident Orbán gewendet haben. Wenn das Absicht ist, und es kann angesichts der Kontrolle, der alle Institutionen unterliegen, nur Absicht sein, dann ist es in seiner Perfidie für autokratische Regime die geschickteste aller Strategien. Vielleicht steht Ungarn künftig für das Akronym „Unser Nationalismus gibt allen Rechtspopulisten Nahrung“. CSU-Chef Horst Seehofer, der Viktor Orbán letzten Montag zur Feier der 60. Wiederkehr des ungarischen Volksaufstandes 1956 im Bayerischen Landtag umarmte, hat sich davon bereits inspirieren lassen. Zwischen ihnen, so Orbán, sei eine „in Europa einzigartige Waffenbrüderschaft“ entstanden.

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