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Kultur: Sohn der Angst

Kaltfront: „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ an der Schaubühne

Regisseure sind Raubvögel. Sie sitzen, beobachten, geben Laut. Stoßen aus mehr oder weniger großer Höhe auf Stücke herab und machen dabei mehr oder weniger große Beute. Und wenn die Stücke mehr oder weniger tot sind, werden Regisseure zu Aasgeiern. Damit sind wir bei dem Problem von Werktreue und Tierschutz angelangt – im Allgemeinen und insbesondere in Thomas Ostermeiers Inszenierung der „Katze auf dem heißen Blechdach“ von Tennessee Williams.

Aber keine Angst, die Berliner Schaubühne ist gut zu Tieren. Ein gläserner Käfig am Kurfürstendamm: Hoch oben thront, auf einem waagrecht aufgehängten Baum, ein Adler oder Falke, das kann man nicht so genau erkennen, es geht ihm offensichtlich gut in der geräumigen Gefangenschaft. Der Vogel hat in den zweieinhalb Stunden die Ruhe weg, es kratzt ihn kaum, was da unten im Salon rast und dräut und lärmt und flattert. Man fühlt mit dem Tier, und es gibt ein schönes Symbol ab.

Die Menschen können halt nicht heraus aus ihrer Haut, aus ihrer Behausung, und mag sie noch so splendid sein. Siehe „Nora“, siehe „Hedda Gabler“. Thomas Ostermeier und sein Bühnenbildner Jan Pappelbaum schaffen solche Alp-Räume in Serie. Zur Abwechslung geht es diesmal mehr um Männerleid, und statt des Ibsen’schen Nord- und Mordlichts tragen die Akteure die Kreuze des Südens, wobei das heiße Blechdach eher ein kaltes Glasdach und das Mississippi-Delta eher im Bayerischen zu vermuten ist.

Was wiederum am wunderbaren Big Daddy Josef Bierbichler liegt, mit dem das Stück beginnt, nach ungefähr einer halben Stunde. Vorher ist Geplänkel, tröten und grölen seine fünf Enkelkinder Geburtstagslieder, die berühmten „halslosen Ungeheuer“, wie ihre – kinderlose – Tante Maggie, die Katze, die nervigen Neffen tituliert. Eins ist klar: Es gibt hier nur ein halsloses Ungeheuer, und das heißt Big Bierbichler. Es ist sein Abend. Big Daddys Lebensabend, der Großgrundbesitzer ist todkrank. Alle anderen spielen eine Nachmittagsvorstellung. Auch Big Mama, die große Kirsten Dene. Was bleibt ihr, als sich in komische Hysterie zu flüchten! Ostermeier bringt einen Menschenzoo auf die Bühne, jeder brütet für sich allein, sehr unterschiedliche Auffassungen von Schauspielerei stehen beziehungslos nebeneinander: Bierbichlers Anarchie, Denes gepflegte Theatralik und das aufgesetzte Leiden der Schaubühnen- Protagonisten.

Das Drama, 1955 in New York uraufgeführt, hat einen dunklen Kern. Die Frage, ob Brick, Big Daddys Lieblingssohn, schwul ist, kann man heute offen stellen. Das wäre das Mindeste bei einem Stück, dessen Leitmotiv die Lüge ist und die Heuchelei. Brick, früher ein klasse Sportler, jetzt ein haltloser Alkoholiker, verleugnet die Homoerotik so heftig, wie er sich nach seinem Freund Skipper verzehrt. Hat er Skipper in den Tod getrieben? Man könnte „Die Katze auf dem heißen Blechdach“ als großen, mysteriösen Vorläufer lesen – „Brokeback Mountain“ auf dem Football-Feld. Aber Ostermeiers Regie drückt sich um eine Haltung herum.

Mark Waschkes Brick bleibt ein Unberührbarer, bis zum Schluss. Es wird nichts preisgegeben von seinem Innenleben. Waschke säuft literweise Whisky und zeigt kaum Wirkung, hat nicht mal einen Kater. Alles kotzt ihn an, und fertig. Das ist ein heikler Punkt in Ostermeiers Theater, generell: der unausweichliche Verlust der Jugend. Und die Sexualität. Nichts leuchtet, nichts lockt. Nur mit Gewalt scheint etwas zu laufen. Wenn es ernst wird, kommen Videos und Hardrock. Und so verfestigt sich das flache Bild der Ostermeier’schen Frauengestalten, auch bei Jule Böwe, die Maggie spielt, die Katze. Frauen sind nur stark, wenn sie aus einer Opferrolle kommen. Und aus dieser undankbaren Führungsrolle kommen sie – weil die Männer Schlappschwänze oder Karrieristen sein müssen – überhaupt nie heraus. Was auch für Bettina Hoppe gilt, die eine schrille Karikatur der gebärfreudigen Mae gibt, Bricks Schwägerin. Ostermeiers Darstellung von Erotik und Sexualität scheint tief geprägt von der englischen Schule einer Sarah Kane, eines Mark Ravenhill. Deswegen ist es hier immer noch so kalt und psychotisch wie in der Wohnküche von „Shoppen und Ficken“, es herrscht eine verstörende Asexualität. Nicht frei von Zynismus ist diese Menschenzeichnung.

Die Wächter über die Autorenrechte, und die sind bei Tennessee Williams äußerst streng, wie man von Frank Castorfs amerikanischen Abenteuern weiß, dürften hier wenig auszusetzen haben. In der deutschen Fassung von Jörg van Dyck und der Dramaturgie von Ralph Hammerthaler wird zwar die eine oder andere Stelle drastischer ausformuliert als im Original. Brick schimpft auf „Schwuchteln und Tunten“, aber das ist reine Fassadenrenovierung. In der berühmten Verfilmung mit Elizabeth Taylor und Paul Newman, so war damals der Hollywood-Code, wurden Homophobie und Homosexualität komplett heruntergespielt. Doch diese beiden vielleicht schönsten Menschen der Filmgeschichte brannten vor Lust.

An der Schaubühne glüht, da kann man sich nur wiederholen, allein das Monstrum des krebskranken Patriarchen. Big Daddy zerquetscht schier seinen Brick, den Bub, vor Sehnsucht und Liebe. Ein Dauerredner, wie so viele unbefriedigte Menschen. Ein Rassist obendrein: Bierbichler improvisiert eine süddeutsche Suada über bärtige Ausländer und politische Verschwörungen gegen den Minister, der uns gottlob vor finsteren Kreaturen bewahrt. So kommen – ohne Namen, man versteht’s auch so – Kurnaz und Steinmeier auf die Bühne. Da spricht jetzt mal keine gespreizte Kunstfigur, sondern ein Mensch, und sei es noch so ein Schmarrn.

Weitere Aufführungen am 5. und 6. sowie vom 15. bis 18. Februar.

Rüdiger Schaper

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