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Kultur: Sommerfrische, Geistesgrößen

Das Verborgene Museum Berlin entdeckt die frühe Fotoreporterin Käthe Augenstein wieder.

Intensiv tippt ein Bonner Medizinstudent im existentialistischen schwarzen Rolli an seiner Dissertation. An der Wand hat er Hirnschnitte und Hüftgelenke aufgezeichnet. Dramatisch wird sein verschattetes Gesicht von einer Handlampe gestreift. Die Fotografin Käthe Augenstein hat hier eine kompliziere Lichtsituation bewältigt, gehört die Aufnahme doch zu ihrer Bildreportage über die Bewohner des legendären fensterlosen Bonner Studentenbunkers. Entstanden sind die Fotos im Sommer 1949, als der beschauliche Ort am Rhein zur Bundeshauptstadt aufstieg.

Da war Augenstein wieder in ihrem Element. Ihre Karriere begann sie noch in der Weimarer Republik bei der renommierten Berliner Fotoagentur „Dephot“ (Deutscher Photodienst). Niemals zuvor und nie wieder sollte es eine derartige Pressekonzentration geben wie damals in Berlin. Zugleich war die Stadt der europäische Hot spot der Fotografie. Zu Augensteins Kollegen bei „Dephot“ zählten Robert Capa, Lux Feininger und Umbo. Die Agentur belieferte die Redaktionen großer Illustrierten, insbesondere aus dem Ullstein-Verlag. In dieser Zeit bildeten sich mit der Fotoreportage und dem Foto-Essay grundlegende Formen des Fotojournalismus heraus, an deren Erfolg Augenstein großen Anteil hatte. Sie war eine der wenigen erfolgreichen Pressefotografinnen jener Zeit.

Das Berliner Verborgene Museum, das sich um die Wiederentdeckung vergessener Fotografinnen seit vielen Jahren bemüht, hat mit Käthe Augenstein einen weiteren Fund gemacht. Es widmet der 1981 im Alter von 82 Jahren verstorbenen Künstlerin eine 80 Vintage-Prints umfassende Ausstellung, die endlich ihre Verdienste würdigt. Zu Augensteins Spezialität werden Porträts, wie sich bei der Reportage „Die Altersschönheit des Genialen Menschen. Besuch bei Max Liebermann“ von 1933 erweist. Die Fotografin zeigt das Besondere ihres Gegenübers, ohne die Person zu entlarven. So lässt sie die markante Physiognomie von Otto Dix raffiniert aus einer schwarzen Bildecke herauswachsen. Kein Utensil, etwa ein Pinsel, deutet auf die Profession des Malers hin. Diese Aufnahme war noch 1998 Hugo Erfurth zugeschrieben worden.

Ihr Handwerk hatte Augenstein zwischen 1927 und 1929 im Berliner Lette-Verein erlernt. Der Ausbildungsweg lässt sich durchaus zwiespältig beurteilen. Die „Photographische Lehranstalt“ orientierte sich an den Bedürfnissen des Arbeitsmarktes, um die Berufstätigkeit von Frauen zu fördern. So nennen die „Berufskundlichen Erläuterungen“ des Lette-Vereins folgende Betätigungsfelder für erfolgreiche Absolventinnen: „Retuscheur, Operateur, Kopierer, Gehilfe für alles“. Kreativität stand also nicht im Mittelpunkt. Doch dies war für Augenstein kein Hindernis. Sie schuf zeitlose Fotografien von Größen wie Max Planck, Gustav Kiepenheuer oder Thomas Mann, die als „gültige“ Konterfeis in Publikationen eingingen. „Mit der Leica in der Hand schaffe ich Erinnerungen für die Zeit, wenn dies verklungen“, resümierte sie. Heiterkeit umgibt ihre Aufnahmen vom Strandleben, Nüchternheit ihre Bilder aus dem Gericht – etwa von jener Verhandlung, in der sich Wieland Herzfelde und George Grosz 1930 wegen „Gotteslästerung“ schlagen mussten.

1933 verbietet das Reichspropaganda-Ministerium „Dephot“ jede weitere Tätigkeit, Augenstein arbeitet fortan für andere Agenturen. Kurz nach Berufung von Harald Lechenperg zum Chefredakteur der „Berliner Illustrirten Zeitung“ 1937 erhält sie eine Festanstellung bei Ullstein. Enteignet und arisiert, firmiert das Unternehmen unter dem Namen „Deutscher Verlag“ und wird dem Zentralverlag der NSDAP unterstellt. Bis 1945 betätigt sich Augenstein als Theater-, Architektur- und Werbefotografin.

Nachdem ihre Wilmersdorfer Atelierwohnung in den letzten Kriegstagen abbrennt und ein Großteil ihres Œuvres der vergangenen zwanzig Jahre, kehrt die Künstlerin in ihre Heimatstadt Bonn zurück, wo sie ein eigenes Fotoatelier eröffnet. Mit ihren Bildnissen der Väter und Mütter des Deutschen Grundgesetzes gelingt auch ihr selbst ein Neubeginn. Eindringlich zeigt sie bei Helene Weber, die bereits in der Weimarer Republik als Abgeordnete aktiv war, die Spuren eines langen Lebens und verleiht ihr Würde. Weniger staatstragend erscheint Carlo Schmid, der sich seiner Zigarre widmet. Sie beobachtet Arbeiter beim Wiederaufbau der Kölner Hohenzollernbrücke, deren in den Rhein gestürzte Stahlkonstruktion und die beiden Brückenstümpfe die Nachkriegszeit dokumentieren.

Dennoch kann Augenstein nicht an die Erfolge ihrer Berliner Jahre anknüpfen. Ihre Reportage über den Bonner Studentenbunker erscheint nicht wie geplant, obgleich dies ein hochsymbolisches Thema der Nachkriegszeit gewesen wäre. Die Routine im Atelier behagt ihr immer weniger. Sie will Bonn verlassen, bleibt aber doch: „Diese Stadt ist mir oft wie ein Albdruck. Man sollte nicht in seine Heimatstadt zurückgehen.“ Im Archiv ihrer Heimatstadt wird allerdings ihr Nachlass aufbewahrt.

Verborgenes Museum, Schlüterstr. 70, bis 9. 2.; Do bis Fr 15 – 19, So 12 – 16 Uhr. Katalog 15 €.

Martina Jammers

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