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Eine Straße in Lissabon.

© dpa

Sommernächte (6): Hoteltipps: Liebe ohne Laute

Lang ersehnt, erträumt, erdichtet und erinnerungsträchtig: Sommernächte sind die schönste Auszeit des Jahres. In den Ferien erzählen wir an dieser Stelle davon. Diesmal: Hoteltipps.

Persönlichen Reiseempfehlungen zu folgen hat seinen Reiz. Bereits das Zuhören weckt Aufbruchstimmung beim Blick in die glänzenden Augen des Gegenübers. In ihrem Widerschein zu ergründen, ob es einem selbst an dem gelobten Ort ebenso ergehen könnte, eine individuelle Umrechentabelle der Begeisterung anzulegen und den Wechselkurs zwischen Urlaubstippgeber und Empfänger festzulegen, ist eine Freude.

Eine zahnlose Dame ging voran und stieß die Tür zum Zimmer auf

Die Empfehlung für eine kleine Pension mitten in Lissabon klang verlockend: günstig, zentral, angenehm. Abgegeben wurde sie von einer Schauspielerin, deren mütterlichem Lächeln selbst Einar Schleef erlegen war. Die Kontaktaufnahme mit der Pension hingegen gestaltete sich schwierig. Niemand schien sie zu kennen, kein Taxifahrer, kein Wirt.

Es war Nacht geworden, als ein angestoßenes Mosaik auf dem Gehsteig das Vorhandensein der Herberge erahnen ließ. Durch das enge Treppenhaus hallte das Schleudern von Waschmaschinen. Eine zahnlose Dame ging voran und stieß die Tür zu einem Zimmer auf, dessen auffälligstes Merkmal die umfassende Verspiegelung der Wände war. Die Lampe auf dem Nachttisch flammte rot auf. Wortlos bedeutete die Dame, dass das Zimmer sofort zu zahlen sei. Aufkommende Zweifel an der Empfehlung der Schauspielerin fegte der rasch fallende Vorhang des Schlafs hinweg.

Die Liebe nach Art des Hauses hatte keinen Klang

Am nächsten Morgen standen drei zahnlose Damen an drei schleudernden Waschmaschinen und wunderten sich wortlos über die folgende Rate. Durch das enge Treppenhaus schoben sich ohne Unterlass unwahrscheinliche Paare. Als die nächste Sommernacht anbrach, war die Pension mit den Spiegelzimmern und roten Lampen der stillste Ort der Welt. Die Waschmaschinen ruhten nach ungezählten Kochgängen, nur leise Schritte und noch leiseres Türöffnen verrieten den unaufhörlichen Wechsel der Gäste. Ansonsten kein Laut. Die Liebe nach Art des Hauses hatte keinen Klang.

Nach der dritten Rate fand sich eine Obstschale im Spiegelzimmer, für den Dauergast im Stundenhotel. Nach einer weiteren Nacht, in der die flüchtig zusammengefundenen Körper keine vernehmbaren Laute von sich gegeben hatten, kam die Abreise. Die zahnlosen Damen winkten durchs Treppenhaus, während der Reisende seine erste Portugalerfahrung zu sortieren suchte. Was für ein stilles Volk.

Die Schauspielerin, später über ihre Reiseempfehlung aufgeklärt, tat zunächst so, als hätte sie nichts gehört, dann, als hätte sie nichts verstanden. Schließlich leuchteten ihren Augen bis in die letzte Reihe eines imaginären Publikums hinein, und sie sagte: „Ach.“

Weitere Texte der Serie: Draußenschlafen (10.7.), Die Nachtigall (13.7.), Sommerdüfte (16.7.), Weckerklingeln (20.7.), Marseille (24.7.), Seenot (30.7.), Wintersehnsucht (2.8.), Glühwürmchen (7.8.), Dunkelheit (10.8.), Fähren (14.8.), Mücken (20.8.), Lebensfries (24.8.)

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