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Kultur: Sonnenallee, Schattenarmee

Wie „NVA“ den Osten endgültig zum Märchen macht

Seit Leander Haußmanns „Sonnenallee“ ist die filmische Wiederauferstehung der DDR so etwas wie ein eigenes Kinogenre. Seine Kennzeichen: ironisierter Märchenton, verschmitzte Off-Erzählerstimme, mildes Licht und Helden wie wir. Diese Tonlage ermöglicht Erzählungen, die das Leben im Sozialismus zwar beschönigen, die Zwecklüge aber deutlich als Stilmittel kennzeichnen.

Die Fiktion als historischer Kompromiss: So konnten die wiedervereinigten Deutschen ihren Frieden machen mit der Mauer – und miteinander. Gemeinsam erträumte man sich wenigstens posthum eine bessere DDR und verabschiedete sie mit „Good Bye, Lenin!“ in die Geschichte. Mit „Herr Lehmann“ gelang es Haußmann und seinem Ko-Autor Thomas Brussig sogar, die Märchenmethode auf West-Berlin anzuwenden. Das Kreuzberger Achtzigerjahre-Idyll im Schatten der Mauer war schließlich eine Art Nebenwirkung der DDR. Und weil es so schön war, bitte da capo. Nun hat sich Haußmann auch noch an seine Armee-Zeit erinnert und ihr – wieder gemeinsam mit Brussig – einen komödiantisch-besinnlichen Gedenkfilm gewidmet. „NVA“ würdigt, wie der Regisseur selbst sagt, die „unattraktivste Armee aller Zeiten“.

Man ahnt es gleich: Die Nationale Volksarmee rekrutiert sich aus Knallchargen und Blindgängern, gemächlich im Kaffee rührenden Offizieren, sadistischen älteren Semestern und arglosen Novizen, allen voran dem Traumtänzer Henrik. Eine Art romantischer Parsifal: ein reiner Tor im Kasernenhof, der schon bald damit klarkommen muss, dass all seine Liebesbriefe an seine Freundin nichts nutzen. Sie hat einen anderen – und überhaupt ist das Leben als Soldat eine einzige Schikane. Deutschpopsänger Kim Frank macht dabei die immergleiche naive Miene zum kurios-bösen Spiel, während sich Oliver Bröcker als Henriks Kumpel Krüger schon bei der Ankunft wehrkraftzersetzend betätigt – indem er Kaugummi kaut.

Zwar fällt beim Training für die korrekte Tarnung mit Tannengeäst der ein oder andere Wortwitz ab: Der Feind ist gefleckt, weil er vor lauter Expansionsdrang nur den Mischwald im Sinn hat. Aber weder die Retro-Musik von Bowie bis Ton, Steine, Scherben noch Detlev Buck als ebenso strohblonder wie strohdummer Oberst sorgen für dauerhauften komödiantischen Esprit. Militärklamotten funktionieren eben nur, wenn sie richtig böse sind. Haußmann jedoch schwankt zwischen Farce, Blödelei und sanfter Legende in Cinemascope.

„NVA“ gehorcht der Dramaturgie einer Nummernrevue: hier ein Pennäler-Streich, dort Politpalaver und Kasernensprech oder wahlweise Schlager-Kitsch bei Henriks Romanze mit der Tochter des Obersten. Als Krüger nach Schwedt strafversetzt wird und mit gebrochenem Willen zurückkehrt, hört der Spaß zwar auf, aber eine Tragödie wie im wirklichen Leben wird auch nicht daraus. Dank Krügers KontaktanzeigenGroßoffensive rücken auch noch Damen in Regimentsstärke an – um sogleich wieder zu verschwinden.

Haußmann baut Spannung auf, flicht running gags ein und weiß dann nichts damit anzufangen. Mag sein, dass er die NVA-Gurkentruppe auf diese Weise kongenial ins Bild setzen möchte. Was aber nichts daran ändert, dass die Sprengkraft seiner Komik verpufft. Jede Pointe ein Rohrkrepierer.

Zu guter Letzt, also im Herbst ’89, ziehen Henrik und Krüger die Uniform aus und gehen einfach nach Hause. Schon in „Sonnenallee“ desertierten Haußmanns Helden aus der Realität, eine damals noch ungesehene, unerhörte filmische Mutprobe. Diesmal bleibt es beim Gratismut. Dem DDR-Märchenonkel ist die erzählerische Kraft ausgegangen.

In Berlin in den Kinos Astra, Cinemaxx Colosseum, Hohenschönhausen und Potsdamer Platz, Cinestar Hellersdorf und Tegel, Delphi, FT Friedrichshain, International, Kulturbrauerei, Passage, Titania UCI Eastgate und Gropius Passagen, Union, Yorck

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