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Kultur: Spalten macht demütig

Bäume aus Bayern, Abartiges aus Auschwitz: Sepp Bierbichler bringt seine Performance „Holzschlachten“ in die Schaubühne

„Sepp Bierbichler kommt gleich“, sagt die Assistentin und fügt beruhigend hinzu: „Er ist ganz natürlich.“ Dann öffnet sie die Tür zur Bühne. Da stehen zwei Dutzend Baumstämme auf dem schwarzen Boden, jeder zwischen einem und zwei Meter hoch. Eine Axt liegt herum, einen Sessel gibt es auch. Später wird Bierbichler sagen: „Buchen sind viel individualistischer als zum Beispiel Fichten, die alle gleich ausschauen und alle gerade hochgehen. Außerdem hat das Buchenfleisch unsere Hautfarbe. Weißer Mensch.“ Aber im Moment ist niemand zu sehen, die Probe ist vorbei. Die Assistentin macht die Tür wieder zu.

Draußen vor der Schaubühne zeigen Bildschirme die zweite Halbzeit von Südkorea gegen Togo. Einige Techniker sitzen in der Sonne. Der Pressesprecher stemmt die Hände in die Hüften und lächelt nervös, als könnte das Interview noch platzen. Dann ist Bierbichler, den alle nur Sepp nennen, plötzlich da, schlendert, ganz die Ruhe, ein weites Leinenjackett um die breiten Schultern, den Gang hinter der Glasfront entlang und tippt eine SMS ins Mobiltelefon.

„Holzschlachten“ heißt das Solo von und mit Josef Bierbichler, das am kommenden Mittwoch in der Schaubühne Premiere hat. Dafür wurden nicht nur extra Bäume aus Bierbichlers Privatwald antransportiert („Ich hab das Holz der Schaubühne verkauft; ich schenk denen das ja nicht!“); dafür ist der sonst öffentlichkeitsscheue Schauspieler auch bereit, mit Journalisten zu sprechen. „Wie lange brauchen Sie?“, lautet seine erste Frage, als wir im Café sitzen. – Kurz. – „Kurz ist sehr gut.“ Also nicht viele Worte: Beim anderthalbstündigen „Holzschlachten“ hackt oder „spaltet“, wie Sepp Bierbichler sagt, ein Mann Buchenholz und spricht dabei Texte, die auf Interviews mit dem KZ-Arzt Hans Münch fußen, die der Journalist Bruno Schirra Mitte der neunziger Jahre geführt hat.

Die brisanten Aussagen Münchs, der noch als fast Neunzigjähriger ohne schlechtes Gewissen von den großartigen Arbeitsbedingungen in Auschwitz schwärmte („Ich konnte an Menschen Versuche machen, das war wichtig für die Wissenschaft.“), werden mit lyrischen Monologen des verstorbenen Dichters Florian List kontrastiert, in denen ein von Schuldgefühlen gepeinigtes Ich mit seinen nächtlichen Dämonen ringt. Klassische Proben gibt es für diesen Abend nicht. Bierbichler hat die Texte auswendig gelernt und will nun gucken, in welcher Form die Worte an die Öffentlichkeit streben: „wie der Text seine eigene Gestaltung sucht unter dem Diktat der Arbeit.“

Anders als man glauben könnte, steht nicht das heikle Thema im Vordergrund, sondern das Holzhacken selbst. „Ich wollte schon lange mal Holzhacken auf der Bühne, weil es das ist, was ich als Einziges wirklich kann.“ Holzhacken ist aber nicht nur Holzhacken (obwohl: „wenn die Leute nur Holz sehen wollen, ist es eben nur Holz“), sondern hat einen kunstfördernden Nebeneffekt. Er führt zur „absoluten Erschöpfung“. In der „Erschöpfung geht der Gestaltungswille gegen null, und der Text müsste am glaubwürdigsten sein. Mich interessiert eine Sprache, ein Ton, der sich nicht selbst verfälschen kann durch den Darsteller. Sonst kommen die falschen Töne“, sagt er. Und dabei zuckt die berühmte Bierbichler-Braue, die seit Jahrzehnten als Ausweis seines außergewöhnlichen reduzierten Stils herhalten muss: Bierbichler, der Ausnahmeschauspieler. Der Bauern- und Gastwirtssohn vom Starnberger See, der sein bayrisches Idiom seit fast sechzig Jahren mit sich herumträgt. Denk- und Trinkfreund von Herbert Achternbusch, dessen anarchische Filme ihn bekannt machten. Dreimal „Schauspieler des Jahres“, 1997 Träger des „Gertrud-Eysold-Rings“ für den Kasimir in Horvaths „Kasimir und Karoline“ von Christoph Marthaler. Bierbichler, das Urvieh, das, so heißt es, auf der Bühne gar nicht spielen muss, sondern einfach nur da ist.

Gestaltung ist also Lüge? „Selbstverständlich. (Pause) Da gehe ich jetzt davon aus. Oder Flucht.“ Natürlich ist es so einfach nicht. Und vielleicht ist „Holzschlachten“ nicht nur ein interessantes Experiment, sondern – gewollt oder nicht – ein Selbstporträt Josef Bierbichlers als Künstler, der seine verletzliche Kraft daraus schöpft, seine Herkunft immer erst auf die Bühne zu holen, um diese Herkunft dann wirkungsstark zu entmachten.

Das Ur-Bild seiner Schauspielarbeit scheint der am Tisch sitzende Bauer zu sein, der nicht viele Worte zu verlieren braucht, weil das Leben und die Arbeit eben sind, wie sie sind. Nur ist Sepp Bierbichler eben nicht Bauer geworden, auch wenn er während der ersten Berufsjahre nach dem Studium noch den elterlichen Hof führte, sondern Schauspieler, also eigentlich herumreisender Gaukler. Und das Ort- und Heimatlose, das Nicht- mehr-Bauer-sein-Können sieht man auch seinen Figuren an, die neben der Ruhe vor allem Verlorenheit ausstrahlen. Nirgendwo wird das so deutlich wie in Michael Hanekes Film „Code unbekannt“, der in lose verbundenen Episoden davon erzählt, wie ein halbes Dutzend Menschen den äußeren und inneren Halt verliert. Bierbichler spielt einen französischen Bauern, der seinen Hof nicht mehr halten kann, weil seine Söhne in der Stadt leben möchten. In der entscheidenden Szene sitzt er mit dem aus Paris angereisten Sohn und der Schwiegertochter, gespielt von Juliette Binoche, am massiven Küchentisch. Habt ihr keinen Hunger? – Nein. – Ihr müsst doch etwas essen. Schweigen. Mit mehr Worten muss der Zusammenbruch einer Existenz nicht begleitet werden; aus der körperlichen Gelassenheit wird ein Körpergefängnis. Bierbichler sitzt nur da, seine unruhigen Fingerspitzen tasten über den Tisch, nehmen Brotkrumen auf, und als die Stille nicht mehr auszuhalten ist, sagt er mit brüchiger Stimme: Entschuldigt mich und steht auf, äußerlich gefasst, innerlich stürzend wie ein Junge, der vor Hilflosigkeit aus dem Zimmer rennt.

Ähnlich ist der Vorgang in „Holzschlachten“, allerdings weniger selbstquälerisch. Bierbichler holt seinen Wald auf die Bühne und haut das Bühnenbild dann genüsslich zusammen.

Spielt Wut für seine Arbeit eine Rolle? „Ja. Wut taucht manchmal auf.“ – Wut worauf? „Naja. Auf mich selbst wahrscheinlich, oder? Ich kann ja nicht immer andere vorschieben.“

In „Versuch über den geglückten Tag“ beschreibt Peter Handke den Vorgang des Holzsägens. Handke wünscht sich das Sägen als leichten, gleichmäßig fließenden Zustand. Erleben Sie das Holzhacken auch so meditativ? „Gleichmäßig ist das Holzhacken nicht. Es gibt Stämme, die brechen sofort auseinander, und andere verweigern sich ewig. Es kann sein, dass am Ende der Aufführung nicht so (deutet einen Meter Höhe an), sondern nur so (deutet einen halben Meter Höhe an) ein Haufen auf der Bühne liegt. Beim Sägen ist der Erfolg rhythmisch zu haben, wenn die Säge scharf genug ist und kein Nagel im Stamm ist. Beim Holzspalten kann ich zwar weiter im Rhythmus draufhauen, aber der Erfolg kann sich verzögern, weil das Spalten von der Maserung des Holzes abhängig ist und das Sägen nicht. Das Spalten ist sozusagen ein natürlicher Vorgang, während das Sägen unnatürlich ist.“ Beim Spalten muss man demütiger sein als beim Sägen? „Sagen Sie es so, dann bin ich einverstanden.“

Premiere 21.6., 20 Uhr. Wieder am 22.6.

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