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Kultur: Spiel, Satz und Krieg

Die Berliner Galerie Artneuland versucht einen Trialog der Kulturen

Hass. Der blanke Hass blickt einen an. Aus alten Gesichtern, aus jungen Gesichtern. Aus Gesichtern von Frauen und aus Gesichtern von Männern. Verzerrt vor Wut oder durch ein zynisches Überlegenheitsgrinsen. Die israelische Fahne hängt, vom Wind zusammengefaltet, an einer Brüstung. Cheb M. Kammerer und Sharon Horodi, zwei israelische Videokünstler, haben diese Szenen im August 2006 aus einer Anti-Kriegs-Demonstration in Tel Aviv heraus gefilmt. Gerade hatte der Krieg Israels gegen den Libanon seinen Höhepunkt erreicht.

Die Kamera nimmt eine subjektive Position ein, so dass die Blicke den Betrachter frontal treffen. Die Demonstranten werden als Verräter Israels beschimpft, Passanten rasten aus. Obwohl die Bilder nur ein vages Gefühl davon vermitteln, wie es sich angefühlt haben muss, einer der angegriffenen Demonstranten gewesen zu sein, senkt sich der dreiminütige Film „Simply a Love Song“ wie ein Haken ins Bewusstseinsfleisch und bleibt hängen. Die Bilder verfliegen nicht wirkungslos, sind nicht nur leere Geste. „Gesten und Aktionen sind nie nur leer“, so Yael Katz Ben Shalom, Gründerin der Galerie Artneuland, in der der Film gezeigt wird.

2002 hat die Kuratorin in Tel Aviv Artneuland gegründet, als politische Galerie. Das Konzept hat sie jetzt nach Berlin exportiert: „Um den aktuellen Konflikt im Nahen Osten verstehen zu können, muss man herausfinden, was in der Vergangenheit hier passiert ist.“ Gerade Berlin, mit seinen Widersprüchen und Brüchen, sei interessant. Die Galerieadresse unterstreicht das: Es ist das Strassmann-Haus, nahe dem Deutschen Theater. Der jüdische Gynäkologe Paul Strassmann hatte das Jugendstilgebäude 1909 als private Frauenklinik erbaut, musste es jedoch 1936 auf Druck der Nazis zu einem Spottpreis verkaufen. Mit Artneuland ist, eher zufällig, ein Stück jüdischer Kultur in das Hinterhaus des geschichtsträchtigen Gebäudes zurückgekehrt.

Yael Katz Ben Shalom will mit Artneuland einen Trialog der Kulturen initiieren: zwischen Israel, Westeuropa und dem arabischen Raum, durch den „die Relevanz existierender Konflikte für das eigene Leben sichtbar wird“. Die 42-Jährige glaubt zwar nicht, politische Probleme lösen zu können. „Aber man kann lernen, mit den Problemen besser umzugehen und dadurch einen Beitrag leisten.“ Im Dreiklang sollen festgefahrene Konfliktstrukturen aufgeweicht werden. Kunst wird hier verstanden als Erweiterung des Möglichkeitsraums – weil die Künstler den Bereich des Unmöglichen betreten.

Ende der neunziger Jahre hat sich Yael Katz Ben Shalom für einen radikalen Bruch entschieden. Begonnen hatte sie als Malerin, verließ dann jedoch das Atelier, begab sich auf die Straße, fotografierte, filmte. „Ich wollte näher an die Wirklichkeit, dokumentieren. Nur so kann ich als Künstler teilhaben an der Realität. Ich brauchte eine politisch-soziale Agenda.“ Das Ergebnis dieses Wandlungsprozesses ist Artneuland: Kunst soll nicht auf dafür vorgesehenem, gesellschaftlichem Terrain stattfinden, sondern durch soziale Projekte, Lesungen, Diskussionen nach außen dringen: Grenzen negieren, Verständnis schaffen. Doch im Hinblick auf die drei monotheistischen Weltreligionen Judentum, Christentum und Islam scheint das unmöglich. Diese kennen, in fundamentalistischer Ausprägung, nur wahr oder falsch und werfen der jeweils anderen immer Falschheit vor, indem sie sich Wahrheit bescheinigen. Gerade deshalb ist es bemerkenswert, dass Katz Ben Shaloms Arbeit frei von Fatalismus ist. Indem sie an die Kraft der Menschen glaubt, an die Demokratie, gewinnt sie Zuversicht.

Bis Ende März zeigt Artneuland die Ausstellung „Videoland“. 14 Kurzfilme versuchen, soziale Realität in Berlin, Gaza oder Jerusalem darzustellen – unter anderem gedreht von Künstlern aus Berlin, Gaza und Jerusalem. Wie sieht ein Kulturkreis in der Perspektive des anderen aus? Die Filme versuchen, davon eine Abbildung zu liefern, auch wenn die Betroffenheitsfalle klaffend offen steht. Durch die bewusst gewählte Naivität des Zugangs gewinnen die Arbeiten allerdings an Kraft. Denn immer bleibt erkennbar, mit welchen Blindheiten die gezeigten Klugheiten bezahlt werden. Die Münchnerin Heike Mutter etwa fährt elf lange Minuten mit der Kamera den Strand von Tel Aviv ab und filmt – Plog, Plog ... Plog – eine endlose Reihe von Beach-Tennisspielern. Nur die Schläge sind zu hören, kein Meeresrauschen. Freizeitgestaltung in Zeiten existenzieller Konflikte.

Artneuland, Schumannstr. 18, Mo 11 – 14 Uhr, Di – Fr bis 20 Uhr, Sa / So bis 18 Uhr.

Sebastian Gierke

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