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Kultur: Sprache und Sichtung

Das Ende des Pop, wie wir ihn kannten: Der Untergang der „Spex“ ist ein Symptom

Eine Ära endet. Der „Spex“-Herausgeber kündigt zum Jahresschluss seiner kompletten Redaktion und verlegt den seit mehr als 26 Jahren angestammten Sitz des „Magazins für Popkultur“ von Köln nach Berlin. Gerüchte hatten diesen Schritt angekündigt. Doch hält sich die solidarische Empörung nun in Grenzen. Was seit einigen Tagen die Feuilletons erregt, hat mit Mitgefühl wenig zu tun, eher schon mit ideologischen Scharmützeln und offenen Rechnungen. Mitunter mündet es sogar in die Androhung von Prügel.

Das Scheitern scheint hausgemacht und verführt zu Zorn und Zynismus. Nochmals wird klar: Die Bedeutung der „Spex“ steht in keinem Verhältnis zu ihrer Auflage. Nachhaltig und international ohne Vergleich prägte das Magazin den Blick auf eine Popkultur als ein trotz Massenkonsum im Politischen verwurzeltes Geschehen. Hier wurden aktuelle Theorien reflektiert, Kunst, Film und Literatur mit einbezogen und die eigene Historie aufgearbeitet und revidiert.

Die Geschichte begann im Februar 1964 mit dem ersten amerikanischen TV-Auftritt der Beatles. Plötzlich begeisterten sich intellektuelle Beatniks und Künstler für den Rock ’n’ Roll. Die Gegenkultur nahm sich der Musik an, die nun neben Tanz, Sex und Liebe auch von ästhetischen und politischen Positionen, ja kompletten Lebensentwürfen kündete. Pop wurde diskursiv – als Zeichensystem. Und als Punk um 1976 die Hippie-Generation negierte, wurde auch der Weg für „Spex“ geebnet. Ab September 1980 erschien das Blatt, getragen von der Fülle neuer, spannender Musik und in deren Umfeld entstehender Kunst (Kippenberger, Büttner, Oehlen) oder Literatur (Rainald Goetz). „Spex“-Autoren rezensierten nicht, sie erklärten die Welt, zumindest kam es den Lesern so vor. Man nährte sich am Aufschwung des US-GaragenRocks, an Hip-Hop und dessen Politisierung, an House oder Techno und an der Vergangenheit des Soul, Jazz, gar des Hippie-Rocks. Das Magazin bestimmte, worüber in den Szenekneipen geredet wurde.

Doch als die Geschichten zu Ende erzählt waren und musikalische Umschwünge rarer wurden, machte sich Verdruss breit. „Spex“-Autoren begannen, zurückhaltenderen Pop-Entwürfen anzuhängen. Manche registrierten den Bedeutungsschwund, andere schrieben munter weiter, nur ohne die Verve und das Wissen ihrer Vorgänger. Pop geriet zur Unterhaltung plus Restmythos, fern davon, verstörendes Material oder Forderungen an das Leben da draußen zu produzieren. Auch die kleinen, unabhängigen Labels, für die sich die Redaktion stark gemacht hatte, brachten nur noch Nischenprodukte auf den Markt.

Um zu überleben, wechselte die „Spex“den Besitzer und fand seinen Spartenplatz in einem Pop-Verlag. Und das Feuilleton, das einst komplizierte Satzgebilde und wilde Überinterpretation gescholten hatte, bemängelte fortan deren Ausbleiben. Dabei lieferte „Spex“ weiterhin Debattenfutter, und der umfangreiche Kulturteil bot Informationen und Positionen, die anderswo kaum vorkamen. Die „Spex“ schlief nicht, nur beschrieb sie das Nebeneinander bar eines aufregenden musikalischen Kontexts, der Kunst und Theorie zusammenführt. Dessen einstige Bedeutung können viele der heutigen Mittzwanziger weder erahnen noch suchen sie danach – er ließe sich ja ohnehin nicht auf den iPod runterladen und erscheint einer marktgeregelten Realität als Traumtänzerei.

Auch „Spex“-Geprägte fragen sich in bangen Stunden nach ihrer Alterssicherung: Das, worauf sie bauten, ist am Ende. Nicht unbedingt das Magazin selbst, das unter dem neuen Chefredakteur Max Dax von vorne beginnt, aber die Sprache des Pop. Die Musikindustrie stirbt auch an den Floskeln ihrer Protagonisten, und der Jugendliche ist nicht mehr jener Typus, der sich anno 1964, ’68, ’76, ’80 oder ’88 auf den Weg machte. Der Roman, die Symphonie, der Jazz, sie hatten ihre große Zeit innerhalb einer sozialen Situation, die es zu bearbeiten galt. Gleiches gilt für den Pop. Das Los der „Spex“ zählt da nur als ein Symptom unter vielen.

Was die Leserbindung betrifft, bringt es im Internetforum ein Leser als Absage an die fortan zweimonatlich erscheinende Neuauflage auf den Punkt: „Ich würde sie immer mit dem Wissen um die Aussetzung einer hart arbeitenden Redaktion lesen. Es ist eben manchmal mehr eine Haltung zur Realität als tolle Lippenbekenntnisse, die Politisches ausmachen.“ Wenigstens das hat die alte Pop-Perspektive gelehrt.

Der Autor ist langjähriger Mitarbeiter der „Spex“.

Oliver Tepel

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