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Sprachkolumne: Linguistische Reizwäsche

Matthies ringt um Worte: Lena hat "performt". Und die Zuhörer haben "gevotet". Zwei Begriffe dringen aus dem Show-Hohlraum in den allgemeinen Sprachgebrauch.

Die Fahne, die die Sieger auf der Bühne schwenkten, war deutsch. Dann hatte es sich auch schon mit der deutschen Sprache. Denn wie überall zu hören war, hat Lena nicht gesungen oder getanzt, und aufgetreten ist sie schon gar nicht. Sie hat performt. Und alle Zuhörer haben gevotet. Das sind zwei schöne Begriffe, die aus dem von Dieter B. und seinen Freunden gegründeten Show-Hohlraum immer lauter heraushallen in den allgemeinen Sprachgebrauch. Und im Gegensatz zu den allermeisten Anglizismen, die auf den Werbeplakaten unverstanden erstarren, bis das nächste drüber geklebt wird, bürgern sich diese Begriffe anscheinend ein. Wie sagte Kevin, als ihm der Lehrer das Ergebnis der Mathearbeit vorhielt? „Da hab ich wohl echt kacke performt.“ Aus dem Star-Alltag teilt uns der „promipranger“ empört mit: „Miley Cyrus performt ohne Hosen und mit Reizwäsche“.

Aber der Begriff ist dieser Thematik längst entwachsen und zu allen Schreibern vorgedrungen, die ihre Erkenntnisse in größtmöglicher Flottheit vortragen wollen, so wie einer, der mit dem neuen Cabrio vor der Wurstbude bremst. Das Segment der Programmzeitschriften habe im ersten Quartal insgesamt „gut performt“, meldet das Fachblatt „Horizont“ ohne jede Not – linguistische Reizwäsche, die das Nachdenken über den treffendsten der möglichen deutschen Begriffe erspart. Im Internet haben die Blogger längst alle Bedenken gegen derlei Spracherwürgtes verworfen, sofern sie jemals welche hatten: „…sehen die Zuschauer sie auch an diesem Tag im schwarzen kurzen Kleidchen auf der Bühne mit typischen Handbewegungen und dem ihr ganz eigenen Moove rückwärts und seitwärts durch Satellite performen“, lesen wir beim, immerhin, „Autoren-Netzwerk Suite 101“ über Lena. Der „Moove“ mit zwei O ist hier natürlich die Sahne auf dem Kuchen, ein neuer Anglizismus, der zum längst eingebürgerten „Looser“ passt wie Dick zu Doof. Nicht von ungefähr werden solche Begriffe besonders gern von Leuten bemüht, die den Englisch-Unterricht verpennt haben, vielleicht eine Rache am verhassten Lehrer?

Ach, es ist ein Kampf gegen Windmühlen, die sich ja nicht alle im Sturm des schieren Blödsinns drehen. In diesem Text sind schon die Worte „Star“ und „Show“ aufgetaucht, die auf gleicher Stilebene in der deutschen Sprache längst nicht mehr zu ersetzen sind – sie dürfen also bleiben. Doch wer hat was vom Performen und Voten? Voten, das ist noch nicht so tief eingedrungen ins Deutsche, es steckt noch im Unterhaltungssektor fest, dort, wo debile Fernsehzuschauer herausfinden sollen, ob der richtige Titel eines Kriminalbeamten „A: Kommissar“ oder „B: Kotzbrocken“ lautet. Voten und gewinnen Sie!

Noch hat sich kein Politiker bei seinen Wählern dafür bedankt, dass sie ihn zum Ministerpräsidenten gevotet haben, aber das setzt sich spätestens dann fest, wenn der Duden geklärt hat, ob man das nicht möglicherweise „gevoted“ schreibt. Der Druck ist groß, denn gewählt wird ja immer, und die darüber im Umlauf gebrachten Berichte schreien nach Synonymen wie der Bär nach Meister Petz und der Kerpener nach dem Leimener. Das Wort „Urnengang“ ist aus diesem Grund geboren worden, aber es trägt den Makel, dass sich aus ihm neben dem umständlichen „zur Urne gehen“ kein funktionierendes Verb ableiten lässt: Urnengehen? Voten wir lieber, bevor die Vote-Locals schließen. Denn danach ist das Voten nicht mehr committed.

Manchmal kommt das Phänomen mitsamt dem Namen aus der angelsächsischen Welt und erweist sich als so seltsam, dass jeder Versuch scheitern muss, es zumindest sprachlich einzudeutschen. Gegenwärtig werden Filmchen durchs Internet gereicht, in denen stolze Besitzer detailliert zeigen, wie sie ihren neuen Fernseher oder Computer auspacken. „Unboxing“ heißt dieses Phänomen aus der Welt des Zeittotschlaging; nichts spräche dagegen, es einfach „Auspacken“ zu nennen, außer, dass dieser verständliche deutsche Begriff nicht die Aura des Coolen mitbringt, die noch den letzten Unfug zum Ausdruck zeitgeistiger Lebensfreude adelt. Cool, ach ja. Na, das lassen wir mal einfach so stehen. Zumal die beiden O ja auch ausnahmsweise richtiges Englisch sind.

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