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Kultur: Sprachlos

Der Deutsche Buchpreis geht an Kathrin Schmidt

Börsenvereinsvorsteher Gottfried Honnefelder ist an diesem Abend der Verleihung des Deutschen Buchpreises nicht in Hochform. Erst vergisst er bei seiner Begrüßung der sechs nominierten Autoren Norbert Scheuer, und als er den Namen der neuen Preisträgerin verkündet, spricht er ihren Namen falsch aus: „Den Deutschen Buchpreis 2009 erhält Karin Schmidt für ihren Roman ‚Du stirbst nicht‘“. Das ist peinlich, weil Karin Schmidt nunmal Kathrin Schmidt heißt. Und es ist doppelt peinlich, weil es in einem Moment wie diesem passiert, dem einzig spannenden, einzig wahren Moment dieser sonst eher zähen Veranstaltung.

Doch vielleicht war Honnefelder einfach zu verblüfft über die Entscheidung der Jury – so verblüfft wie ein großer Teil des Auditoriums, der fest mit Herta Müllers „Atemschaukel“ gerechnet hatte. Oder zumindest mit Stephan Thomes Roman „Grenzgang“, der schon vor der Literaturnobelpreisverkündung als Müllers einziger Widerpart genannt worden war. Kathrin Schmidt, die 1958 in Gotha geboren wurde und heute mit ihrem Mann und fünf Kindern in Berlin-Hellersdorf lebt, wurden hingegen nur Außenseiterchancen eingeräumt. In ihrem stark biografisch gefärbten Roman geht es um eine Schriftstellerin, die nach einer Gehirnblutung im Krankenhaus wieder zu sich kommt und halbseitig gelähmt ist. Noch schlimmer für sie ist, dass sie auch keine Sprache mehr hat, sie unter einer Aphasie leidet. Der Roman erzählt eindringlich, wie die Erzählerin sich langsam ihre Sprache wieder aneignet und damit nicht zuletzt die ganze Welt.

Sehr überrascht ist dann auch Kathrin Schmidt, als sie auf der Bühne des Kaisersaals im Frankfurter Römer ein paar Dankesworte sprechen soll. „Ich hätte nie mit diesem Preis gerechnet“, stammelt sie. Dann erzählt sie, dass sie früher eine gute Ausdauerläuferin gewesen sei, und das würde gut zu der Entwicklung ihres Buches passen, das im Frühjahr erschienen ist und erst allmählich von Kritik und Publikum wahrgenommen worden sei. Schließlich gesteht sie noch, dass ihre Freude für Herta Müller viel größer sei als die Freude, die sie selbst gerade empfinde. Das löst Grummeln im Auditorium aus, rundet den Abend aber schön ab, stand er doch nicht zuletzt im Zeichen des Literaturnobelpreises für Herta Müller.

Anders als Frankfurts Bürgermeisterin Petra Roth schaffte es Börsenvereinsvorsteher Honnefelder übrigens, Herta Müller offiziell zu gratulieren. Und so viele Fotografen wie dieses Jahr wollten auch noch nie so viele Fotos von einer lediglich nominierten Autorin schießen. Die Jury aber hat eine gewisse Souveränität bewiesen. Sie hat, wie es der Juryvorsitzende Hubert Winkels erklärte, „die äußere Bedeutungsproduktion weggedrängt“. Ob aber „Du stirbst nicht“ die Sprachmacht von „Atemschaukel“ besitzt, sei dahingestellt, ein ordentliches Buch ist es allemal. Und bedenkt man die Konjunktur, die Krebsbücher und andere Krankenberichte im Moment haben, dann ist der Preis für Schmidt nur folgerichtig. Denn du „Du stirbst nicht“ ist das Beste aus diesem Genre, das literarischste sowieso. Vielleicht wird sogar ein Bestseller draus. Gerrit Bartels

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