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Kultur: Spur der Termiten

Der Künstler als Sammler: Georg Baselitz zeigt in Düsseldorf erstmals seine legendäre Afrika-Kollektion

Nein, es gebe nichts, was ihn mit einem afrikanischen Bildhauer verbinde, hat Georg Baselitz wieder und wieder in Gesprächen betont. Die Beweggründe, die Techniken, die Traditionen, der Kunstbegriff, das Verhältnis zwischen Repräsentation und Erfindung: Alles sei ganz anders. Mit Verlaub: Es gibt doch eine Menge Gemeinsamkeiten. Und Georg Baselitz, der eine der ungewöhnlichsten Sammlungen afrikanischer Kunst besitzt, weiß das besser als jeder andere.

Man muss nicht gleich auf die überdimensionierten Phalli zu sprechen kommen, die die Ahnenfiguren aus dem Kongo, die Grabfiguren aus Madagaskar und die Figur eines Hausgeists aus dem Benin dem Betrachter so selbstbewusst entgegenstrecken, um an Baselitz’ frühe Bilder zu denken. Vieles aus der Sammlung, die nun in Düsseldorf erstmals der Öffentlichkeit präsentiert wird, erklärt nur zu gut, warum der Künstler gerade von diesen Objekten fasziniert war. Allein die Art, wie die Bildhauer aus Ostafrika das Holz unbehauen lassen, wie sie ihre Skulpturen aus Baumstämmen herauswachsen lassen, ohne sich die Mühe zu machen, die Übergänge zu vertuschen, erinnert an Baselitz’ grobe, den Meißelschlag sichtbar stehenlassende Technik. Hinzu kommen Verfalls- und Gebrauchsspuren, die den Werken Stofflichkeit verleihen: Termiten, die sich durch das Holz fressen, Flugsand, der die Skulpturen abschmirgelt, Holz, das vom Darüberstreichen glatt geworden ist, Reste von magischen Erdpackungen. Auch die strenge Formensprache der Skulpturen wirkt vertraut: die monumentalen Köpfe, die auf beinahe ebenso breiten, stumpfartigen Hälsen sitzen, die mit herunter hängenden Armen fest im Boden verankerten Skulpturen: Das alles kennen wir auch aus dem Werk von Georg Baselitz.

Und doch hat der Künstler natürlich Recht, wenn er auf dem Unterschied zwischen seinem Werk und den von ihm bei europäischen Kunsthändlern zusammengekauften Kultgegenständen beharrt. Die grobe Struktur: Hier ist sie bewusste ästhetische Entscheidung, dort ein natürliches Phänomen. Hier die freie Wahl einer Formsprache, dort die Eingebundenheit in überlieferte Traditionen. Originalität ist kein Kriterium der afrikanischen Kunst, die Statuen, oft erst aus jüngerer Zeit, sind im Geist Jahrhunderte alt, sagt Baselitz.

Und Kunst ist überhaupt der falsche Begriff. Das alte Missverständnis: Die afrikanischen Skulpturen sind Gebrauchsgegenstände für magische Zeremonien und werden nicht nach ihrer Schönheit, sondern nach ihrer Wirksamkeit beurteilt. Die Qualität einer Skulptur bemisst sich daran, ob der heilende oder schadende Zauber wirkt oder nicht. Hat eine Skulptur etwa ihre magische Packung verloren, ist sie wertlos. Für Baselitz, der auch viele rituell neutralisierte Stücke gekauft hat, ist sie dennoch: Kunst.

Sicher auf einem Bein

Denn die Inhalte und Bedeutungen, sagt Baselitz, die historischen und ethnologischen Hintergründe der von ihm erworbenenen Werke interessieren ihn nicht. Auch nicht die Frage der Datierung und Zuschreibung. Dem Künstler wie dem Sammler geht es um die formalen Qualitäten, darum, wie außergewöhnlich, wie „verrückt“ eine Skulptur sein kann. Darum, wie stabil der einbeinige und einarmige Schutzgeist aus dem Kongo stehen kann, wie sicher und selbstverständlich die Hand des Bildhauers den anatomischen Mangel ausgleicht. Bei aller künstlerischen Wertschätzung lässt Baselitz die Assoziation zum Kubismus, zur so europäischen Vorstellung von der Gleichzeitigkeit mehrerer Ansichten, dennoch nicht gelten. Und doch: Die Skulpturen seiner Sammlung sind fernab jeder glattpolierten Ästhetik westafrikanischer Provenienz, wie sie viele der französischen, belgischen, kolonial geprägten Afrika-Sammlungen auszeichnet. Es ist der durch die eigene Arbeit, den eigenen Geschmack geschulte Blick, der Baselitz die Werke zusammentragen ließ. In ihrer schroffen Ästhetik und ihrer Konzentration auf wenige Sujets vermitteln sie ein anderes Afrika-Bild, als es die durch deutsche Expressionisten und französische Kubisten geprägte kunsthistorische Afrika- Rezeption bislang kannte.

Baselitz Afrika-Interesse wurde 1977 geweckt. Der Kunsthändler Michael Werner überließ ihm eine kleine Biteki-Figur für 100 Mark, mit den Worten: „Das ist etwas für Sie.“ Von den oft in der Bauchgegend mit magischen Packungen umwickelten und nur am Kopf klar gestalteten Fetischfiguren besitzt Baselitz inzwischen mehrere hundert.

Familie der Holztrompeten

Die Sammlung Baselitz besitzt aber auch einmalige Objekte. Im Zentrum der Düsseldorfer Ausstellung stehen die spektakulärsten, weil unbekanntesten Werke: die Stoffpuppen der Bembe und Bawembe, zweier kongolesischer Stämme, die bis in die 20er Jahre des letzten Jahrhunderts ein ausgefallenes Begräbnisritual ausführten: Häuptlinge und wichtige Personen wurden in bis zu vier Meter hohe Stoffpuppen eingenäht und stehend beerdigt. Stoff (in diesem Fall belgische Wolldecken) war kostbar in Afrika, oft ein Zahlungsmittel und deshalb Zeichen der Wertschätzung der Verstorbenen. Parallel zu den Stoffpuppen, von denen nur einige Köpfe erhalten sind, fertigten die Künstler (der letzte, namentlich bekannte starb 1923) kleinere, mit Applikationen, Bemalungen und Nähten versehene Stofffiguren, die den Verstorbenen ähneln sollten und als Reliquien- und Ahnenfiguren dienten. Drei davon sind in der Sammlung zu sehen und vermitteln mit ihren ausdrucksvollen Gesichtern ein neues Bild afrikanischer Kunst. Daneben ein Ensemble von Holztrompeten in Form einer stilierten Familie, das bei den Begräbnisritualen eingesetzt wurde: Es ist die einzig vollständig erhaltene Trompetenfamilie.

Die Gedächtnisstelen aus Kenia wurden oft Jahre nach dem Tod eines Ahnen ihm zur Erinnerung errichtet: überlebensgroße, mit entfernt an menschlichen Knochenbau erinnernden Ornamenten verzierte Holzpfosten, bei denen einzig der Kopf naturalistisch gearbeitet ist. Und am Ende der Ausstellung finden sich zwei ebenfalls überlebensgroße Grabfiguren aus dem Sudan, die Baselitz erst kürzlich erwarb und neben denen der Künstler im Katalog stolz posiert.

Über die einzelnen Stämme und ihre Sitten erfährt der Besucher, der von afrikanischer Kultur wahrscheinlich noch weniger weiß als Baselitz, in Düsseldorf wenig. Verwirrt irrt man zwischen Alusi und Biludi, Muzuri und Muzidi, Nkisi und Biteki hin und her. Doch Georg Baselitz ist, auch als Sammler, kein Ethnologe, sondern Künstler. Was seine Sammeltätigkeit auszeichnet, ist sein leidenschaftliches Interesse an den formalen Lösungen, die die unbekannten Bildhauer ganz ohne künstlerischen Ehrgeiz fanden. Von diesem Geist lebt seine Sammlung. Und in diesem Sinne gibt es doch sehr viele Ähnlichkeiten zwischen Baselitz’ Werk und dem seiner afrikanischen Kollegen.

Baselitz: Die Afrika-Sammlung, K 20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen Düsseldorf, bis 24. August. Danach in der Pinakothek der Moderne München und den Kunstsammlungen Chemnitz. Katalog (Prestel) 25 Euro.

Christina Tilmann

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