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Kultur: Stadt ohne Licht

Erstmals ausgestellt: New-York-Fotos von René Burri in der Galerie Argus

Als am Abend des 9. November 1965 aufgrund einer Havarie alle Lichter in New York erloschen, ging René Burri mit dem Fotoapparat auf die Straße. Er wollte unbedingt die Gelegenheit nutzen, das von Autoscheinwerfern, Taschenlampen und Kerzen nur noch spärlich beleuchtete, ins Stocken geratene Leben auf den Straßen oder in den Bars festzuhalten: die ratlos zusammenstehenden Gruppen, der Andrang vor den öffentlichen Telefonen, den Blick auf die wenigen leuchtenden Zifferblätter großer Uhren. Die stärksten Lichtquellen waren jetzt die Lichtkegel der im Schritttempo fahrenden Autos.

Der Schweizer Fotograf hat die Serie nie veröffentlicht. Erst im vergangenen Jahr ist sie in einem Buch des Münchner Moser-Verlags erschienen, begleitet von einem enthusiastischen Essay Hans-Michael Koetzles. Die Galerie Argus Fotokunst stellt diese Serie nun zum ersten Mal aus (500 Euro je Abzug). Koetzle sieht in dem Versuch, in die fast apokalyptische Finsternis einer Weltmetropole vorzudringen, nichts weniger als „eine Meditation über das Licht“. Zumindest über den geringen Anteil des Lichts an der Finsternis, die damals New York, immer aber den gesamten kosmischen Raum ausfüllt, könnte man hinzufügen.

Die Dunkelheit verschluckte die Nachrichten aus der Welt. In Vietnam erreichte zu jener Zeit 1965 der grausam geführte Krieg seinen Höhepunkt, in Kuba regierte noch Che Guevara, den Burri zwei Jahre zuvor porträtiert hatte, die Berliner Mauer stand erst vier Jahre. Ohne Licht schien die Geschichte zum Stillstand verurteilt, zumindest rückte sie weit weg. Die Serie verlangt dem Betrachter einige Fantasie ab. Aber wie der 32-jährige, bereits damals führende Mitarbeiter der Fotoagentur Magnum die Gelegenheit beim Schopfe ergriff und die dunkle Vorahnung eines möglichen Crashs der Zivilisation festhielt, verdient höchste Bewunderung.

Im zweiten Teil bietet die Ausstellung Farbaufnahmen Burris von New York aus den siebziger Jahren an. Die Einzelstücke (zwischen 1600 und 2200 Euro je Abzug) sollen sich keinem Thema unterordnen und tragen zum Teil experimentellen Charakter. Burri probierte damals das neue, lichtempfindliche Farbfotografiematerial aus, etwa indem er die Kamera in der Dämmerung auf die Silhouette der Wolkenkratzer mit ihren beleuchteten Fenstern richtete oder die nächtlichen Lichtspuren der Autos festhielt. Neben diesen stets klug komponierten Aufnahmen hängen berührende Straßenszenen, vor allem aus den Vierteln der Schwarzen. Dokumente eines vergangenen Lebensstils, zu dem in jenen Jahren noch gehörte, mit Anzug und Hut auf die Straße zu treten.

Zum Symbol eines nicht eingelösten Versprechens wird der Blick vom Hafengelände auf die Freiheitsstatue. Auf dem Asphalt am Kai hat ein Pflastermaler den Kopf der Statue in Farbe ausgeführt. Mit dem Rücken zum Betrachter sieht ein Farbiger auf das Wasser vor dem Koloss aus Stein – ein dreifach gebrochenes Bild, dessen Spannung bis heute mitreißt.

Galerie argus fotokunst, Marienstr. 26; bis 31. Juli, Di–Sa 14–18 Uhr.

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