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Humboldtforum

© Mike Wolff

Stadtschloss: Das Geisterhaus

Traum und Albtraum: Sieben Gründe, warum aus dem Berliner Stadtschloss nichts Gutes werden kann. Eine Polemik

Ein Gespenst geht um in Berlin, das Schlossgespenst. Ende November wird der Siegerentwurf des Architektenwettbewerbs vorgestellt, die Jury (8 Fachjuroren, 5 Sachpreisrichter) wählt unter 30 Finalisten. Die Kubatur des Kreises wird kaum dabei sein, denn die Vorgaben verbieten kühne Entwürfe: Originalgrundriss, drei barocke Fassaden, der Schlüterhof, auch die Kuppel ist erwünscht. Am Bundestagsbeschluss von 2002 ändert das Debakel nichts: Das Schloss wird gebaut. Die 1950 von den DDR-Oberen gesprengte Hohenzollernresidenz wird wieder errichtet. Sieben Gründe, warum der Schlosstraum als Albtraum enden dürfte.

1. Das Schloss wird zu teuer

552 Millionen Euro soll der Bau laut Bundesbauminister Wolfgang Tiefensee kosten. 440 Millionen stellt der Bund bereit, 32 Millionen Berlin, 80 Millionen sammelt der „Förderverein Berliner Schloss e. V.“ für die barocke Fassade. Aber jetzt ist Finanzkrise, wo soll binnen Jahresfrist eine halbe Milliarde Euro herkommen? Ist ja keine Bürgschaft, wird echt verbaut.

Von versprochenen 80 Millionen Euro hat Wilhelm von Boddiens 1992 gegründeter Förderverein bisher nur 9,8 zusammen (weitere 7,3 Millionen seien zugesagt). Das Finanzgebaren des Vereins ist umstritten: Wie viele Spenden wurden für Probemodelle ausgegeben, für Eigenwerbung, für das Gehalt des Geschäftsführers? Von Boddien sagt, bei der Frauenkirche habe der Spendensegen auch erst nach Baubeginn eingesetzt. Aber Berlin ist nicht Dresden, auch die Bürger Restdeutschlands werden kaum über Nacht ihr Engagement für das Barockschloss entdecken. Jetzt wird im Ausland um Spenden geworben. Und Tiefensee sagt: „Typische Planungs- und Baurisiken sind durch Einsparungen aufzufangen.“ Gibt’s dann weniger Säulen, mehr Simulation? Abgespeckte Adlerkapitelle?


2. Das Schloss ist eine Mogelpackung

Als der ehemalige Chef der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Klaus-Dieter Lehmann, in der zunehmend peinlichen Debatte um die Nutzung des Schlossbaus die Idee des Humboldt-Forums aufbrachte, schien das „Ei des Kolumbus“ (Kulturstaatssekretär André Schmitz) gefunden. Die außereuropäischen Sammlungen aus den Dahlemer Museen in Berlins Mitte zu verlagern und in Nachbarschaft der Museumsinselschätze zu präsentieren, gemeinsam mit den wissenschaftlichen Sammlungen der Humboldt-Universität und Teilbeständen der Zentral- und Landesbibliothek, das klang nach Weltneugier, Kunstkosmos, Wunderkammern des Wissens, moderner Bildungslandschaft. Die Vision versöhnte sogar Schlossgegner. Eine große Koalition von Traditionalisten und Modernisten schwärmt vom Weltkunstschauhaus des 21. Jahrhunderts hinter historischen Fassaden. Lehmanns Nachfolger Hermann Parzinger wirbt für die Idee.

Aber außen Schlüter, innen Humboldt, geht das? Der erste Eindruck zählt, Humboldts Weltverständnis bleibt reine Innenansicht hinter jenem Barock, der als Plastikplanensimulation 1993 alle Welt erfreute. Und drinnen: Maya-Masken unter Wappenkartuschen, Südseesegelboot unter Stuck und Prunk? Parzinger sagt, bei den Geschosshöhen gäbe es Spielraum, Fenster könne man versetzen. Auf Marx – den Palast der Republik – folgt Murks.


3. Das Schloss ist zu klein

48 000 Quadratmeter Bruttogeschossfläche reichen nicht. 24 000 sind fürs Museum vorgesehen, 4000 für die Bibliothek, 1000 für die Humboldt-Sammlungen, 9500 für die Agora mit Gastro und Shopping. Das genügt für Teilbestände, mehr nicht. Parzinger will zusätzlich Ateliers für Gegenwartskunst, „Aktions inseln“ und Räume für Sujets wie Migration oder Metropole. Laut Ausschreibung sind eine „mindestens zitathafte Rekonstruktion der Königlichen Kunstkammern“ und die Wiederauferstehung des Volkskammersaals aus dem Palast der Republik erwünscht. Das Bonmot vom Museums-Wolpertinger macht die Runde.

4. Der Humboldt-Gedanke ist Humbug

Vom Pariser Musée de Quai Branly und der aktuellen Tropen-Ausstellung im Martin-Gropius-Bau weiß man, wie knifflig in Zeiten der Globalisierung die Präsentationsfrage von afrikanischer oder pazifischer Kunst ist. Die Debatte darüber, ob man historisch gewachsene Sammlungen wie die Dahlemer auseinanderreißen soll, hat gerade erst begonnen; bisher ist dort Europäisches und Außereuropäisches vereint. Irgendwie soll dieses neue Haus der Kulturen der Welt auch mit dem existierenden kooperieren und trotzdem das Museum des 21. Jahrhunderts neu erfinden. Workshops der drei Humboldt Nutzer arbeiten an Konzepten.

Auch ein Generalintendant ist im Gespräch: Der Bund will einen Spiritus Rector. Klaus-Dieter Lehmann, inzwischen Präsident des Goethe-Instituts, warnt dagegen vor der Zerschlagung der Staatlichen Museen zu Berlin „in europäische und außereuropäische“ Häuser. Das Pergamon-Museum beherbergt bekanntlich ebenfalls Außereuropäisches – ein großes Kuddelmuddel. Die Fülle des Schlossinhalts ist noch nicht strukturiert, aber die Hülle für die Fülle steht fest. Wir wissen nicht, was es werden soll, aber wir bauen’s schon mal.


5. Die Traditionalisten ziehen die Modernisten über den Tisch

Niemand will einen Etikettenschwindel wie beim Braunschweiger Schloss mit Shoppingmall hinter historischer Fassade oder der Bertelsmann-Kommandantur Unter den Linden. Es soll keine Architektur ohne Architekt werden, groß sein, aber bitte harmonisch. Der von der „FAZ“ lancierte Vorschlag, anstelle von Einbäumen und Präparaten in Formaldehyd doch die Gemäldegalerie mit Dürer, Tizian und Vermeer im Schloss unterzubringen, hat Charme, weil außen und innen dann wenigstens zusammenpassen. Warum nicht gleich die komplette Rekonstruktion mit Weißem Saal, Münzturm, Paradekammern und Gigantentreppe? Man kennt das ja in Berlin. Auch beim Streit um den Paulick-Staatsopernsaal wurde die ästhetische Debatte von konservativen Beharrungskräften abgewürgt.


6. Das Schloss ist ein Anachronismus

Der japanische Philosoph Ryosuke Ohashi empfahl bei der Auftakt-Veranstaltung der „Initiative Humboldt-Forum“ das transportable, provisorische Museum. Hat er das Schloss mit der Temporären Kunsthalle verwechselt? Schlossfreiheit Nummer 1: Man kann dort freier atmen in diesen Tagen, der Ort hat sich verändert. Der Rückbau des Palasts der Republik wurde zur faszinierenden stadträumlichen Installation. In der Kunsthalle mit Gerwald Rockenschaubs eckig- blauer Wolkenbemalung sind die ur demokratischen Videoarbeiten von Candice Breitz zu sehen: eine fröhlich-kollektive Manifestation von individuellem Gesang. Zwischen der preußischen Pracht Unter den Linden, dem Weltkulturerbe- Ensemble der Museumsinsel, dem Dom-Trumm, Staatsratsgebäude und dem Phantom der Bauakademie weht seit dem White Cube im Palast ein anderer Geist. Das Stadtschloss als Staatsschloss, als politischer Repräsentationsbau mit kulturellem Inhalt als Mittel zum Zweck wird obsolet. Vertane Chance.

Ein Paradox: Man traut den Architekten von heute zu, barocke Fassaden und ethnologische Sammlungen unter einem Dach zu vereinbaren. Aber eine zeitgenössische Antwort auf die ästhetische Herausforderung des historischen Gebäudeensembles rund um den Schloßplatz gilt seit Jahren als undenkbar.


7. Nur wer sich ändert, bleibt sich treu

Vor einer Woche war das Schloss als Kulisse der Novemberrevolution von 1918 omnipräsent: ein düsterer Kasten, vor dem Karl Liebknecht die Räterepublik ausrief. Die Schlossrekonstruktion wird heller, freundlicher sein. Aber entspricht sie noch dem Geist, in dem sie beschlossen wurde, ist sie noch das mit großer Mehrheit gewünschte Wahrzeichen des vereinigten Deutschland? Das Wahrzeichen existiert ja bereits, mit Norman Fosters Reichstagskuppel. Droht am Schloßplatz statt eines nationalen Symbols nicht doch Disneyland, die Autosuggestion von Geschichte mit etwas verschämter Gegenwart am Hinterteil des Bauwerks?

Das oft als Einverständnis missdeutete allgemeine Desinteresse am Schloss ist ein Hinweis darauf, dass seiner Wiedererrichtung inzwischen die breite Basis fehlt. Es gibt nicht mal ein gemeinsames Forum; Befürworter und Kritiker diskutieren auf je eigenen Websites. Die Architekten Almut Ernst und Armand Grüntuch warnen vor einem Freilichtmuseum: „Gerade für die denkmalgeschützte Originalsubstanz sind Kulissengebäude eine Zumutung“, sagten sie der „WamS“. Geschichtssimulation gefährdet Geschichte.

„Ich bin ein Gegner der Behauptung, das alte Schloss wäre das Beste, was an dieser Stelle stehen kann“, sekundiert der Vorsitzende der Schlosswettbewerbs- Jury, der italienische Architekt Vittorio Lampugnani.

Das Schloss war schon immer viele Schlösser. Sein Labyrinth aus 1210 Räumen hatte zahlreiche Baumeister, Schlüter, Eosander, Knobelsdorff, Langhans, Schinkel und Stüler, es hat feudale Traditionen und demokratische, es war Obrigkeitsbau genauso wie Volkseigentum oder Museumsprovisorium zwischen den Kriegen. Es ging mit der Zeit. Jetzt wird mit ihm die alte Zeit konserviert.

Das Schlossvotum von 2002 ist ein Bundestagsgrundsatzbeschluss, kein Ge setz. Grundsatzbeschlüsse können per einfacher Abstimmung wieder geändert werden. Bis zum Baubeginn 2010.

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