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Kultur: Städte im Wandel: Achterbahn für Nervenschwache

Wie eine Stadt als Schauplatz totalen Amüsements aussieht, hat vor wenigen Tagen einmal mehr die Berliner Love Parade gezeigt. Oder auch nicht: Denn der Aufzug der Hunderttausenden von Ravern bedarf jedenfalls für die Parade der Stadt nicht mehr.

Wie eine Stadt als Schauplatz totalen Amüsements aussieht, hat vor wenigen Tagen einmal mehr die Berliner Love Parade gezeigt. Oder auch nicht: Denn der Aufzug der Hunderttausenden von Ravern bedarf jedenfalls für die Parade der Stadt nicht mehr. Der Zug bewegt sich durch den Park. Im übrigen ist er sich selbst genug. Da lässt sich bereits eine der Schwierigkeiten erahnen, die die Ausstellung "Paradiese der Moderne" mit ihrem scheinbar so griffigen Thema hat. Die Vergnügungen der Großstadt sind über die Stadt hinausgewachsen. Was an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert an den vom öffentlichen Nahvervehr erschlossenen Rändern der Stadt entstand, ob in New Yorks Coney Island oder in Berlins Luna-Park am Halensee, hat sich längst auf die sprichwörtliche grüne Wiese verlagert. Stadt als Ort grenzenlosen Vergnügens wird mittlerweile simuliert. Wer nun aber eine Ausstellung unter dem berühmten Motto "Learning from Las Vegas" erwarten wollte, sieht sich im Bauhaus Dessau enttäuscht. Das jüngste Projekt in der Ausstellungsreihe zum Generaltthema "Event City: die Stadt in der Erlebnisgesellschaft" widmet sich dem "städtischen Vergnügen". Hübsche Trouvaillen sind da von dem Team um Regina Bittner zusammengetragen worden, frühe Kaugummiautomaten oder auch, überraschend, ein Modell von Bruno Tauts legendärem "Glaspavillon" von 1914. Die Ausstellungsgestaltung mit ihren unregelmäßigen Kuben, zahlreichen Overhead-Projektoren und der durch Abdunkelung und das Brummen etlicher Kühlaggregate erzeugten Atmosphäre totaler Künstlichkeit hat Witz. Aber die einzelnen Mosaiksteine wollen sich zu einem thesenhaft zugespitzten Gesamtbild nicht fügen. Unter dem Begriff des Paradieses lassen sich die gezeigten Medien der Zerstreuung, für die hier die Achterbahn des guten alten Rummelplatzes steht, und die Ansätze visionärer Neuordnung, vor allem die unermüdlich zukunftsfrohen Weltausstellungen, nur mühsam zusammenzwingen. Gewiss handelt es sich jeweils um Ablenkung vom Alltag. Aber ob es um dessen bloße Überblendung mit einigen Augenblicken rauschhaften Vergnügens geht oder um das Versprechen einer neuen und besseren Organisation der Welt, bedeutet einen gewaltigen Unterschied. Um letzteres hat sich die heroische Moderne des 20. Jahrhunderts bemüht, wie problematisch die Ergebnisse auch immer ausfielen. Ob es also zu Erkenntnisgewinn führt, beispielsweise das Modell eines "kommunalen Zentrums der Zukunft" von F.R.S. Yorke und Marcel Breuer aus dem Jahr 1936 und die anrührenden Drahtmodelle früher Achterbahnen auf gleicher Ebene zusammenzuführen, bleibe dahingestellt. Das Begleitbuch unter dem allerdings leicht nuancierten Titel "Urbane Paradiese" greift thematisch weit über die denn doch eher zufälligen Objekte hinaus und deutet den enzyklopädischen Ehrgeiz der Ausstellungsmacher an. Von der Jahrhundertwendekrankheit der Neurasthenie bis zum Fast Food unserer Tage, von der Stadtbeleuchtung bis zum Stadtgrün spannt der gedankenreiche Essayband seine anregenden Assoziationsbögen. Allerdings sind es ihrer entschieden zu viele, um das Leitmotiv der "Urbanen Paradiese" zu mehr zu machen als zum bloßen Synonym der Stadtentwicklung und -erfahrung seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert. Denn dieser Urbanisierunsprozess lässt sich durchaus als fortwährende Steigerung der Reizangebote und der entsprechenden, vor allem durch Konsum vermittelten Reizbefriedigung beschreiben. Da findet dann alles seinen Platz, was die heutige Stadt zu bieten hat, und die feinen Unterschiede verschwimmen zu einem bloßen Kaleidoskop städtischer Situationen. "Learning from Las Vegas" hingegen hieße, die Stadt von ihrem Ende, von ihrer Negation und stückweisen Simulation her zu betrachten. Die Theme parks, die in den USA erfunden wurden und längst ihren Siegeszug bis in die "Sonderwirtschaftszonen" des chinesischen Riesenreiches angetreten haben, spiegeln seismographisch den Stand des Paradies-Verlangens, das zwischen Zukunftsgläubigkeit und Vergangenheitssehnsucht schillert. Nur die Hoffnungen der heroischen Moderne mit ihren kreuzungsfreien Verkehrswegen und lichtdurchfluteten Wohnzeilen, die stellen offenkundig keinerlei Verheißung mehr dar. Über solchen Utopieverlust nachzusinnen, wäre vielleicht dringlicher, als Bruchstücke historisch gewordener "Urbaner Paradiese" aufzureihen.

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