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Start der Berlinale am Donnerstag: In der Hauptrolle: Berlin

Ein Kuss vor der Gedächtniskirche, die Stricher vom Bahnhof Zoo, das gesprengte Adlon – in vielen Produktionen der 61. Internationalen Filmfestspiele ist die Stadt Berlin der Star.

Man kennt solche Bilder aus Bagdad, aus Berlin zum Glück schon lange nicht mehr. Unbedarfte Touristen dürfte es daher ziemlich irritiert haben, was sich ihnen vor knapp einem Jahr auf dem Pariser Platz darbot: ein Trümmerberg an der Westecke des Adlon, Betonschutt, wie es schien, graue Brocken jeglicher Größe, aus denen noch Armierungseisen ragten. Offenbar die Folgen einer Explosion, der auch ein Taxi zum Opfer gefallen war: Ein extradicker Brocken hatte das Dach getroffen – merkwürdig, dass es nicht stärker eingedrückt war.

Die Ursache des Desasters ist auf der Berlinale erstmals von größerem Publikum zu begutachten: die Sprengung der Präsidentensuite des Nobelhotels, feuriger Höhepunkt des Thrillers „Unknown“ von Regisseur Jaume Collet-Serra, mit Liam Neeson in der Rolle des Berlin-Reisenden Dr. Martin Harris, der die Stadt – es muss leider gesagt werden – als Hölle erlebt. Und dies, obwohl er eine Auswahl der größten Sehenswürdigkeiten vorgeführt bekommt, so dass der Film, trotz aller Unbequemlichkeiten für den Helden, als touristische Werbung für Berlin gelten kann, als Anpreisung der Vielfalt seiner Drehorte sowieso. Solch ein Festival wirbt ja nie nur allein für sich, es ist zugleich eine Visitenkarte der Stadt, in der es stattfindet, dient ihr als Sympathieträger und Geldmagnet, doch ist sie selbst wiederum teilweise Handlungsort der gezeigten Filme, in denen sie sich widerspiegelt. Auch das aktuelle Filmfest hat da wieder einiges zu bieten, wenngleich Berlin in keinem anderen Film so im Mittelpunkt steht wie in „Unknown“, dessen Plakat sogar das Brandenburger Tor zeigt.

Es beginnt mit der Ankunft auf dem Flughafen, die freilich in Leipzig gedreht wurde. Weiter geht es mit einer auf der Oberbaumbrücke jäh endenden Taxifahrt: Durch einen inszenierten Unfall stürzt der Wagen in die Spree – spektakuläre Bilder, auf der Brücke gedrehtes Material mit Stuntkünsten im Babelsberger Wassertank geschickt verwoben. Eine nächtliche Verfolgungsszene entstand erkennbar in der Friedrichstraße, sie endet am Hackeschen Markt: Der Geländewagen des Killers kracht in eine Straßenbahn, bei der es sich aber um einen umgebauten Lastwagen handelte.

Seine Odyssee führt Dr. Harris auch in den Tresor-Club im alten Umspannwerk Köpenicker Straße in Kreuzberg, in der Manteuffelstraße findet er die von Diane Kruger gespielte Taxifahrerin Gina in einen türkischen Imbiss wieder. Später geht es in die Karl-Marx-Allee, auf die Brücke am Bodemuseum, in die Neue Nationalgalerie, die Innenaufnahmen der Szene entstanden im Museum für Fotografie am Bahnhof Zoo. Schließlich wird das Adlon samt Brandenburger Tor dekorativ ins Bild gerückt, auch Szenen im Hotel drehte man, etwa im Treppenhaus hinter der Lobby. Gesprengt wurde in Babelsberg, ein Nachbau der Präsidentensuite, in der Marlene-Dietrich-Halle 1 : 1 nachgebaut. Ebenfalls aus Potsdam stammen Aufnahmen vor der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“, umfunktioniert zum Eingang des Berliner Instituts für Biotechnologie.

Berlin-Touristen nicken wissend mit dem Kopf

Zeigt „Unknown“ vor allem den Osten der Stadt, so spielen die Berliner Szenen in „Wer wenn nicht wir“, Andreas Veiels Film über die Vorgeschichte des deutschen Terrorismus, schon historisch bedingt im Westen: 1964 brechen Bernward Vesper (August Diehl) und Gudrun Ensslin (Lena Lauzemis) mit ihrer Tübinger Vergangenheit und gehen nach West-Berlin, gehören bald zur linken Boheme. Später begegnet sie Andreas Baader (Alexander Fehling), taucht in den Untergrund ab, während Vesper sich im Drogenwahn verliert. Auch ein Berlin-Film also, teilweise hier gedreht, aber Lokalkolorit einzufangen war eindeutig nicht das Primärziel des Regisseurs. Gewiss, die Stadt kommt vor: Es gibt Originalbilder von den prügelnden „Jubelpersern“ am 2. Juni 1967 vor der Deutschen Oper, man sieht Ensslin und Baader im offenen roten Cabrio über die Straße des 17. Juni fahren, im Hintergrund die Siegessäule, und es gibt mit beiden eine von Flugblättern umschwebte Kussszene vor der Gedächtniskirche. Es überwiegen aber unidentifizierbare Innenräume – kaum Reklame für Berlin also.

Neben diesen Wettbewerbsfilmen und dem Forumsbeitrag „Swans“ von Hugo Vieira da Silva, in dem ein Mann mit seinem Sohn nach Berlin reist, um die im Koma liegende Ex-Freundin zu besuchen, bietet auch das Panorama mancherlei Berlinensien, wenngleich eher dokumentarischer Natur. Einige Filme nennen ihre zentralen Dreh- und Handlungsorte bereits im Titel, so Rosa von Praunheims „Die Jungs vom Bahnhof Zoo“ über die dortige Stricherszene und „Im Himmel, unter der Erde. Der jüdische Friedhof Weißensee“ von Britta Wauer. Lokalisierbar nur von Insidern der titelstiftende Ort in Johanna Jackie Baiers „House of Shame/Chantal All Night Long“ über eine schrille Spielart des Berliner Nachtlebens, die von der Szenelegende Chantal vor elf Jahren ins Leben gerufenen Burlesque-Partys.

Bei „The Big Eden“ dürften Generationen von jungen Berlin-Touristen wissend mit dem Kopf nicken, ohne zu ahnen, dass es in Peter Dörflers Film nicht speziell um die legendäre Ku’damm-Disco geht, sondern um deren Gründer, Berlins letzten Playboy Rolf Eden. Biografisch ausgerichtet ist auch Christoph Rüters „Brasch“ über den in Ost-Berlin angeeckten, in den Westen übergesiedelten, doch später zurückgegangenen Schriftsteller Thomas Brasch. All diese Filme sind immer auch, zumindest indirekt, Porträts der Stadt und ihrer Geschichte, Berlin bildet den mal mit mehr, mal weniger Lokalkolorit bebilderten Hintergrund, vor dem diese Geschichten ausgebreitet werden. Ohne ihn sind sie kaum denkbar, und sei es, dass sich in der Persönlichkeit Braschs die jahrzehntelange Spaltung der Stadt widerspiegelt.

Sehr lang muss solch ein Dienst an Berlin gar nicht sein, zur Not genügen sechs Minuten wie „Warum Madame Warum“ von John Heys, der als Vorprogramm zu „House of Shame“ läuft: Ein satirisches Miniporträt einer eleganten Dame, die beim Flanieren über den Kurfürstendamm unbefangen eine phallusartige Wurst verzehrt – eine vom Film nahegelegte Assoziation. Mit einer zerschnippelten Currywurst wäre ihr das nicht passiert.

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