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Kultur: Statisten aus der Portokasse

Die Welt mit Filmen verändern: Osteuropas Kinochancen nach dem Beitritt zur EU – ein Berliner Kongress

Die Einladung klang optimistisch. Mit dem Motto „Pro Erweiterung“ hatte film20, die Lobby der großen deutschen Film- und Fernsehproduzenten, das Votum für die „Herausforderungen und Chancen“ durch den EU-Beitritt neuer Länder schon mal keck vorformuliert. Und im Begrüßungsbrief zum Berliner Kongress stimmte Generalsekretärin Georgia Tornow die Branchengäste noch hochtönender ein: „Mit dem Film haben Sie die Welt verändert. Jetzt geht es darum, die Welt für den Film zu verändern.“

Am Ende des Tages aber, so sagen wir’s gern neu-denglisch und so passte es auch nach zehn langen Stunden, sah die Realität weitaus nüchterner aus. Der historische 1. Mai 2004, an dem die EU zehn weitere Staaten aufnimmt, wird von den einen schon deshalb nicht als Zäsur betrachtet, weil der Weltfilmmarkt seit Jahren mit Polen, Tschechien, Ungarn im Geschäft ist; die anderen sehen den Beitritt eher mit Bangen,weil dann ein paar Bedürfigte mehr am EU-Fördertropf hängen. Kühler Realismus war folglich die Devise unter den 30 Experten auf vier Podien. Und von einer über das Kommerzielle hinausgehenden kulturellen Neugier auf die neuen Märkte nur wenig zu spüren.

Was bedeutet das neue Europa für die Profis aus dem Westen? Nicht mehr als eine Einbahnstraße – der Osten funktioniert als billiger Drehort und als Absatzmarkt. „Anthony Minghella dreht für 100 Millionen Dollar den US-Bürgerkrieg in Rumänien, Bernd Eichinger baut die Reichskanzlei in St. Petersburg“, so gab X-Filme-Geschäftsführer Stefan Arndt schon früh die Linie vor. Mit billigen Arbeitskräften, liebevoll hergestellten Sets und schönen Locations ist etwa Prag zum beliebten Drehort für  die Hollywood- Majors („Die Liga der außergewöhnlichen Gentlemen“, „The Bourne Identity“) geworden. Und schon drängen die noch billigeren Konkurrenten Rumänien und Bulgarien mit Statistenheeren aus der Portokasse nach. Bei soviel Nutzen könnte, so möchte man meinen, auch der Import osteuropäischer Produktionen interessieren – schließlich schafft Film „Gemeinsamkeit und vermittelt Weltbilder“, wie Jo Groebel vom Europäischen Medieninstitut formulierte.

Doch Fehlanzeige: Vor allem die westliche Haltung zu Co-Produktionen – der einstweilen wohl einzigen Chance für einen gemeinsamen mittelosteuropäischen Markt – dürfte den Filmleuten aus Polen, Tschechien, Ungarn und der Slowakei schrill in den Ohren geklungen haben. Martin Moszkowicz (Constantin) und, noch drastischer, Veit Heiduschka (Wega-Film Wien) „hassen“ Co-Produktionen. Lieber suchen sie sich für ihre Projekte Co-Finanzierungen, bei denen der Partner keinerlei künstlerische und technische Mitsprache hat – allerdings nicht gerade im noch immer klammen Osteuropa. Jan Fantl wiederum, der Anlegergelder auf steuerbegünstigte Filmfonds leitet, hält aus anderen Gründen am guten alten Co-Produzenten fest: „Beim Begriff Co-Finanzierung verglüht der Steuervorteil für den Anleger sofort.“ Weshalb sich derzeit etwa betuchte Zahnärzte als Filmproduzenten fühlen dürfen, zumindest auf der virtuellen Visitenkarte.

Von solchen Geldflüssen haben die osteuropäischen Produzenten nichts. Dunja Klemenc (Studio Maj in Ljubljana) berichtet, wie sie jahrelang im Westen vergeblich Klinken putzte, um Danis Tanovics „No Man’s Land“ zu finanzieren, der schließlich mit dem Auslandsoscar gekrönt wurde – und dabei lag das Budget bei nach Westmaßstab geringfügigen 2,5 Millionen Euro. Noch schmerzhafter die Erfahrungen von Magdalena Kosmus von der Danziger Profilm Agentur: „Trotz guten Drehbuchs und deutschen Themas“ lief sie mit einem Projekt von Agnieszka Holland bei deutschen Geldgebern so lange auf, bis sie letztes Jahr beim Polen gewidmeten Filmfest Cottbus das Interesse von Studio Babelsberg weckte. „Es gibt das klassische europäische Kino, wir könnten zusammen Stoffe entwickeln“, sagt sie. Aber: „Wir sind uns so nah, und trotzdem wollen wir uns nicht kennen lernen.“ Immerhin hat, so Filmboard-Chef Klaus Keil, „Connecting Cottbus“ doch drei polnisch-deutsche Filmprojekte ins Leben gerufen.

Aber gibt es das überhaupt noch, das klassische europäische Kino, von dem Kosmus spricht? In einem gesamteuropäisch vom US-Kino dominierten Markt freuen sich die jeweils einheimischen Produzenten schon über zehn Prozent Marktanteil. Ein Abschottungsprozess: Vier von fünf europäischen Filmen sind außerhalb ihres Ursprungslands nie zu sehen – rühmliche Ausnahmen wie „Amélie“ oder „Good Bye, Lenin!“  ändern daran im Grundsatz nichts. Mit diesem Status quo haben sich, gut genährt von nationalen und europäischen Förderinstitutionen, offenbar auch die deutschen Produzenten arrangiert. Ein kleines Solo erlaubte sich hierbei allenfalls Jens Meurer, Geschäftsführer der Berliner Egoli Tossell Film: Bestimmte Co-Produktionen, etwa sein Projekt „Russian Ark“, seien für ihn „Lebenssinn“. Ein großes, schönes Wort. Nur, so sehr Kongress-Initiatorin Georgia Tornow auch darauf hoffen mochte: Richtig optimistisch klang es nicht.  

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