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Stefan Puchers "Tod eines Handlungsreisenden": Endstation und Sehnsucht

Der Routinier: Stefan Pucher kommt mit „Tod eines Handlungsreisenden“ aus Zürich

Willy Loman kehrt nicht gebrochen heim, nein, da ist noch Drive in den müden Knochen. Er betritt die verspiegelte Bühne mit Schachbrettmuster, ein König der Straße, und stellt die Musterkoffer mit Nachdruck ab. Gestatten: Loman, Erfolgsvertreter. Einer, der den amerikanischen Traum lebt.

Zumindest, bis ihm die Realität in Gestalt seiner Frau Linda dazwischenfunkt. Da droht dann der Offenbarungseid vor dem Kühlschrank, der noch nicht abbezahlt ist, aber schon wieder Altmetall. „Ich möchte einmal erleben, dass mir etwas gehört, bevor es kaputt ist“, blafft der Hausherr. Nicht die Flucht in die Fantasie ist das Problem. Nur das Erwachen. Man muss sich, so kann man Stefan Puchers Inszenierung von Arthur Millers „Tod eines Handlungsreisenden“ verstehen, Willy Loman als glücklichen Menschen vorstellen. So lange das Kopfkino läuft.

Die Bühne von Stéphane Laimé nutzt die volle Breite des Zürcher Schiffbaus, nebeneinander gereiht sind Filmsets im detailversessenen Dekor der späten 40er, frühen 50er Jahre, der Entstehungs- und Erfolgszeit von Millers Verlierer-Drama. Links eine geschwungene Treppe für den Showauftritt mit Gesang, daneben Küche, Wohnzimmer, Schlafzimmer, ganz rechts der Bluescreen. Vor dem wird Robert Hunger-Bühler, der den Willy Loman spielt, einen echten, in den Schiffbau knatternden Thunderbird parken. Und sich dann zum Helden eines Roadmovies mit wackelnden Hintergrund wandeln, endlich auf der Überholspur.

Überhaupt lässt Regisseur Pucher das Geschehen auf der Bühne unentwegt live filmen. Auf mindestens drei Screens gleichzeitig verfolgt man das Familienleben und -lügen der schrecklich netten Lomans, die im Schwarzweißbild wie Figuren einer frühen Seifenoper wirken, die verarmten Verwandten der Waltons. Gute Nacht, Willy-Boy! Die nichtsnutzigen Söhne Biff und Happy bekommen im Einspieler auch schon mal ihre eigene Show, wenn sie wieder mal tolle Pläne schmieden – die fabelhaften Loman-Brothers! Während ihr Vater sich als Leinwand-Spielball in den Hochhausschluchten der modernen Zeiten verliert, wenn die Wogen über ihm zusammenbrechen.

Diese Filmverdopplungen und Videoverfremdungen bedeuten einen Kunstgriff, der zweifach gut funktioniert. Zum einen markiert er die Sehnsucht und ihre Endstation, den American Dream Marke Hollywood, das ewige, für Normalsterbliche nie einlösbare Oberflächenversprechen von Aufstieg, Erfolg und Ruhm.

Zum anderen führt er einem den eigenen, entfernten Blick auf Millers Stück vor. Spielt mit dem Anachronismus einer Loser-Ballade, die durch den Turbokapitalismus heutiger Prägung lässig überholt ist – und mit Nostalgietränen konsumierbar wird.

Innerhalb dieses Fiktionen-Settings lässt Pucher den „Tod eines Handlungsreisenden“ dann aber ganz realistisch spielen. Wobei vor allem Robert Hunger-Bühler eine Wucht ist. Ein Ausgequetschter und Gescheiterter, der mit mühsam gedeckelter Wut sein Recht auf die Illusion verteidigt. Während die Linda von Friederike Wagner mit ironiefreier Rührigkeit ein Frauenbild des Verzichts und der Selbstlosigkeit verkörpert, und die Söhne – Sean McDonagh als Biff und Jan Bluthardt als Happy – die Last der unerfüllbaren Erwartungen an sie in kopflose Übersprungshandlungen lenken. Im Herzen: eine sehr berührende Geschichte. Und so erzählt sie der Regisseur.

Das wird nur jene überraschen, die Stefan Pucher noch immer für den unbeschwerten Pop-Kameraden halten, der er nie war. Die bei ihm stets nur die Mittel gesehen haben, Songs, Video, nicht den Zweck. Klar ist Pucher der Pionier des Samplings auf dem Theater, natürlich hat er ein Faible für Cover, Crossover und DJ-Kultur – wobei er eben an den Münchner Kammerspielen mit „Mjunik Disko“ ein Rave-Requiem inszeniert hat, das die gute alte Club-Zeit beerdigt. Aber wenn er einem im Gespräch von der Webseite „Rhymezone“ vorschwärmte, auf der man sich aus tausenderlei Shakespeare-Zitaten eine ganz wilde Lyrik zusammenbasteln kann, dann bedeutete das nicht, dass er den Original-Shakespeare nicht mit demselben Furor durchdrungen hätte. Und als werkverständiger Tschechow-Regisseur mit Zeitgenossenblick hat er sich schon vor über zehn Jahren bewiesen.

Einige der besten Pucher-Arbeiten entstanden in Zürich, wo er während der Marthaler-Intendanz Hausregisseur war – „Drei Schwestern“, „Richard III.“, „Homo Faber“, alle zum Theatertreffen eingeladen. Daran schließt nun die Arthur-Miller-Beleuchtung an, Puchers vitalste, klügste Inszenierung seit langem.

Am Ende ersteht Willy Loman noch einmal auf und singt mit dem übrigen Ensemble den Velvet-Underground-Song „I’m set free“. Es ist noch Leben in diesem Handlungsreisenden. Patrick Wildermann

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