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Kultur: Steinerne Träume, brennende Bücher

Wie Schriftsteller Akram Aylisli und seine Familie in Aserbaidschan drangsaliert werden.

Beim Eurovision Song Contest letzten Sommer in Baku versuchte das Gastgeberland Aserbaidschan, sich als weltoffenes, modernes Land zu inszenieren. Jetzt wähnt die Ex-Sowjetrepublik im südöstlichen Kaukasus sich von der internationalen Öffentlichkeit offenbar unbeobachtet und kehrt seine dunkle Seite hervor.

So hat das Regime eine regelrechte Hetzkampagne gegen den Schriftsteller Akram Aylisli angezettelt. Auslöser ist die Novelle „Steinträume“ des 75-Jährigen, in der Aylisli die Verfolgungen der armenischen Minderheit nach der Errichtung der Sowjetmacht 1920 und zu Beginn der neunziger Jahre thematisiert, als der Konflikt um Berg-Karabach hochkochte. Die Region gehört zu Aserbaidschan, wird aber vor allem von ethnischen Armeniern besiedelt. 1988 erklärte sie ihre Unabhängigkeit. Bei den anschließenden Kämpfen verlor Aserbaidschan auch die umliegenden Landkreise an die Republik Armenien. Der Konflikt ist bis heute nicht beigelegt, Aserbaidschan mit überwiegend muslimischer Bevölkerung hält die Minsker Gruppe der vermittelnden OSZE für befangen: Russland, Frankreich und die USA würden den Konflikt mit der reichen armenischen Diaspora scheuen. Der Schmerz darüber sitzt tief in einer Nation, die durch die Tatsache, dass die Mehrheit der Volksgruppe in Iran lebt und dort keinerlei Autonomierechte besitzt, ohnehin tief traumatisiert ist.

Wer daher wie Aylisli die Gräueltaten beider kriegsführenden Seiten anprangert und Mitgefühl mit den Opfern antiarmenischer Pogrome zeigt, bewegt sich auf dünnem Eis. Zwar druckte ein russisches Literarturjournal „Steinträume“ ab und lobte den versöhnlichen Ansatz. Aber zu Hause schlugen dem Schriftsteller Hass und Empörung entgegen. Ende Januar erhielt er erste Morddrohungen. Dann forderten einige Granden der Partei von Präsident Ilham Alijew, Aylisli solle das Buch einstampfen und öffentlich Abbitte leisten. Einfache Parteimitglieder verbrannten das umstrittene Werk vor dessen Haus auf dem Scheiterhaufen und forderten den Schriftsteller auf, das Land zu verlassen. Die Polizei sah tatenlos zu.

Kurz darauf forderten mehrere Parlamentsabgeordnete, Aylislis Volkszugehörigkeit per DNS-Analyse klären zu lassen und ihm den 1998 verliehenen Titel „Verdienter Schriftsteller des Volkes“ abzuerkennen. Eine Woche später meldete Präsident Alijew Vollzug und strich ihm die Ehrenpension von monatlich umgerechnet 1270 Dollar. Der oberste geistliche Führer, Allahsükür Pasazade, warf ihm Abfall vom Glauben vor: Die Haltung des Schriftstellers sei ein Verrat an der Nation und am Islam. Auch Aylislis Ehefrau Galina, die in einer öffentlichen Bibliothek arbeitet,und sein Sohn Nadschaf, Abteilungsleiter beim Zoll, haben ihre Jobs verloren. Beide wurden von den Behörden gezwungen, um ihre Entlassung nachzusuchen.

Die internationale Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch forderte Baku auf, die Hetzkampagne unverzüglich zu stoppen. Als Mitglied internationaler Organisationen sei Aserbaidschan Verpflichtungen eingegangen, dazu gehöre auch die Achtung der Meinungsfreiheit. Außenminister Elmir Mamedjarow hielt dagegen: Der Fall beweise, wie ernst es Baku mit der Meinungsfreiheit sei. Jeder, so zitierte ihn ein russischer Radiosender, habe das Recht auf seine eigene Sichtweise des Buchs. Elke Windisch

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