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Kultur: Sternenstaub

Isabelle Faust im Kammermusiksaal.

Von Gregor Dotzauer

Herausforderung und Versöhnung: So funktioniert oft die Dramaturgie von Konzerten. Und obwohl sie als Binnenspannung vielen Kompositionen selbst eingeschrieben sein mag, hat sie als programmgestalterisches Element oft etwas Ranschmeißerisches. Nichts davon bei der 39-jährigen Geigerin Isabelle Faust und ihrem langjährigen Klavierpartner Alexander Melnikov. Auch sie durchqueren im Kammermusiksaal unterschiedliche Stilbereiche, Klimazonen und einen Zeitraum von rund 120 Jahren. Und dennoch schaffen sie jenseits von Konsonanz und Dissonanz einen inneren Zusammenhang, der die ersten neun Solotakte der Geige in Felix Mendelssohn Bartholdys f-Moll-Sonate für Violine und Klavier von 1823 umstandslos mit den letzten Takten des in Fahlheit ersterbenden Nocturne von John Cage aus dem Jahr 1947 verknüpft.

Alles wird mit dem gleichen Ernst, der gleichen Genauigkeitsstrenge und da, wo es geboten ist, mit dem gleichen Temperament behandelt. Die Versenkungslust dieser beiden besteht in analytischer Zuneigung: Das Material wird untersucht, mit Intelligenz beseelt und erwärmt und im Zweifel, bevor die Gefühlshitze sie fortreißen könnte, wieder abgekühlt. Selbst in den rhythmisch unruhigsten Momenten explodieren die beiden nicht, sondern bewegen sich in klar konturierten, sorgfältig timbrierten Zonen.

Das beste Beispiel ist Bartóks Sonate Nr. 2, die Faust zusammen mit Florent Boffard auch auf CD eingespielt hat. Ein an klassischen Formen, wie sie noch Mendelssohn befolgte, desinteressierter Klangraum, der aus motivisch undefiniertem Sternenstaub entsteht, voller weit auseinanderliegender Einzeltöne, Tritonusstrahlungen und Tontrauben, die wie Meteoriten einschlagen, bis das Disparate mehr und mehr zusammenrückt und sich zu einem hoch energetischen Furioso verdichtet. Danach Busonis fasslichere, aber im Grunde ebenso wechselhafte Violinsonate e-Moll, die fünf Variationen von Bachs Choral „Wie wohl ist mir, o Freund der Seelen“ einlagert, bevor sie in einem wunderlichen Appendixschnörkel verdunstet. Gregor Dotzauer

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