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Kultur: Stiftungen: Eine Bertelsmann-Tagung begibt sich auf die Suche nach einem neuen Rollenverständnis

Deutschlands Stiftungen schwimmen gegenwärtig auf einer Welle des Wohlwollens. Niemand zieht ihren Stellenwert für den gesellschaftlichen Wandel heute noch in Zweifel.

Deutschlands Stiftungen schwimmen gegenwärtig auf einer Welle des Wohlwollens. Niemand zieht ihren Stellenwert für den gesellschaftlichen Wandel heute noch in Zweifel. Der niedersächsische Regierungschef Sigmar Gabriel (SPD) geht sogar noch einen Schritt weiter: Stiftungen benötigten für ihre zukünftigen Aufgaben möglichst viele Freiräume, die ihnen der Staat gewähren müsse, forderte Deutschlands jüngster Ministerpräsident auf einer Tagung der Bertelsmann-Stiftung in Hannover. Da ein überforderter Staat hinlänglich bewiesen habe, dass er sich nicht mehr um alles kümmern könne, sei es für ihn an der Zeit, sich auf Kernbereiche zurückziehen und für gemeinnützig motivierte Arbeit geeignete Rahmenbedingungen zu schaffen.

"Stiftungen im Zentrum eines neuen Gleichgewichts" nannten die Gütersloher eine internationale Konferenz über den gesellschaftlichen Wert gemeinnütziger Organisationen. Dabei ging es um ihr Rollenverständnis innerhalb des "Dritten Sektors", der zwischen Staat und Wirtschaft angesiedelt ist. Stiftungen bilden zwar nur einen kleinen Teil dieses Bereichs, der vor allem aus staatlich bezuschussten Wohlfahrtsverbänden, Vereinen und Genossenschaften zusammengesetzt ist. Einige Stiftungen haben jedoch in den vergangenen Jahren bewiesen, dass sie mit Ideenreichtum und Risikobereitschaft bemerkenswerte Beiträge zur gesellschaftlichen Erneuerung leisten können.

Innerhalb des "Dritten Sektors" verzeichnen Stiftungen gegenwärtig nie gekannte Wachstumsschübe. Jährlich entstehen in Deutschland durchschnittlich 350 Stiftungen. Mit den Steuerreformen, die das Parlament im Juni beschlossen hat, könnte ihre Zahl weiter ansteigen. Fiskalische Anreize erleichtern nun sowohl Spendentätigkeit als auch Neugründungen. Die zentrale Reform der zivilrechtlichen Seite hat Bundeskanzler Gerhard Schröder auf Ende dieses Jahres angekündigt. Es geht um die heiklen Themen der staatlichen Stiftungsaufsicht und um die dringend nötige Neufassung des Begriffes "Gemeinnützigkeit". Über langwierige Genehmigungsverfahren, wie sie im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) von 1900 festgeschrieben sind, übt der Staat eine starke Kontrolle über den Sektor aus. Welche Neugründungen dem Gemeinwohl dienen und steuerlich begünstigt werden, entscheiden in Deutschland weiterhin Finanzbeamte. Ängste, dass ein erleichtertes Genehmigungsverfahren zu weiteren Steuerausfällen führt, überschatten in Deutschland die öffentliche Debatte über den gesellschaftlichen Mehrwert,den Stiftungen erbringen.

Dabei fehlt es selbst hierzulande nicht an Beispielen, die zeigen, dass Stiftungen eigene Tätigkeitsfelder besetzen und sich von ihrer traditionelle Rolle als Juniorpartner des Staats oder als wohlfeile Lückenbüßer für staatliche Versäumnisse erfolgreich lösen. Einzelne Beispiele können jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich in der Öffentlichkeit überwiegend das klassische Bild des würdigen philantropischen Mäzens aus dem 19. Jahrhundert hält. Und das nicht ohne Grund: Die meisten Stiftungen in Deutschland haben bislang kaum öffentlich über ihre künftige Rolle nachgedacht. "Sie sonnen sich ein bisschen selbstgefällig in einem historisch gewachsenen Reservat", kritisiert Rupert Graf Strachwitz, Leiter des Berliner Maecenata-Instituts zur Dritten-Sektor-Forschung.

Bis heute vermisst der Stiftungsexperte eine grundsätzliche und öffentliche Diskussion zur Frage, ob Stiftungen tatsächlich einen positiven Beitrag zur Entwicklung der Gesellschaft leisten. "Wurde auch in Frankreich, das kaum Stiftungen aufweist, über deren Sinnhaftigkeit und die gesellschaftliche Einordnung gründlich debattiert, glaubte man in Deutschland stets zu wissen, dass Stiftungen, die es ja schon immer gab, in irgend einer Weise auch etwas Gutes täten". Und das habe die meisten Stiftungen in ihrer positiven Selbsteinschätzung bestärkt. Diskretion war im Milieu stets oberstes Gebot, zumal Stiftungen nicht publikationspflichtig sind.

Es kann kaum überraschen, dass bei dieser "mehr als zurückhaltenden Informationspolitik", so Graf Strachwitz, gerade einmal zehn Prozent der deutschen Stiftungen, vor allem die Großgründungen, regelmäßig aussagekräftige Berichte über ihre Finanzstrukturen veröffentlichen. So deutlich wie nie zuvor hatte der Bundesverband Deutscher Stiftungen, der für das Diskretionsbedürfnis seiner Mitglieder stets großes Verständnis zeigte, bei seiner Hauptversammlung im Mai an den Stiftungssektor appelliert, künftig Transparenz zu zeigen. Wenn dieses Ziel erreicht wird, können sich Stiftungen untereinander besser vergleichen. Verbleiben sie aber weiterhin in ihrem Reservat - befürchtet Rupert Graf Strachwitz -, "werden sie zum sozialen Wandel so gut wie nichts beitragen und bald wieder aus dem Prozess herausfallen."

Thomas Veser

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