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Kultur: Stille malen

Schleierhaft: Der Chinese QIU SHIHUA erkundet die Farbe Weiß.

Im Ostflügel des Hamburger Bahnhofs riecht es nach frisch geweißelten Ausstellungswänden. Überall Weiß, in der Nase, vor den Augen, im „Weißen Feld“, dem Raum mit den Ölbildern von Qiu Shihua.

Weiß, das ist das Nichts. Der chinesische Künstler streicht es in verschiedenen Tönen auf groß- und querformatige Leinwände, strahlend, gebrochen, lasierend oder deckend. Und doch gibt es etwas zu erkennen: zarte Landschaften, wattige Hügelformationen, Baumkronen in weiter Ferne, Seen mit gekräuselter Oberfläche, Sonnenspiegelung. Oder ist es nur Einbildung? Etwas, was das Auge einfach sehen will, um ein bisschen Halt in diesen nebligen Bildern zu finden? Drohen die Silhouetten zu verschwinden, möchte man sich abwenden. Blickt man erneut darauf, tauchen wie magisch neue Details auf, je nachdem, in welchem Winkel man zur Leinwand steht. Kaum möglich, die Bilder zu reproduzieren, im Katalog oder hier in der Zeitung.

Qiu Shihua hat in Europa an Gruppenausstellungen teilgenommen, 2001 etwa an der Berlin Biennale. 1999 gab es eine kleine Einzelschau in der Kunsthalle Basel. Dennoch ist der 1940 in Zizhong in der Provinz Sichuan geborene Künstler der breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Der Hamburger Bahnhof würdigt ihn nun erstmals umfassend mit einer großen Retrospektive, von den Anfängen seiner Landschaftsmalerei bis heute. Im Herbst wandert die Schau in erweiterter Form ins Museum Pfalzgalerie nach Kaiserslautern.

Qiu malte zunächst sozialrealistisch gemäß dem offiziellen Stil, später arbeitete er als Filmplakatmaler. Die Ausstellung setzt mit seinen ersten Landschaftsbildern aus den siebziger Jahren ein. Sorgsam getrennt vom Rest, hängen sie in einem Kabinett. Wer hineingeht, lüftet den weißen Schleier und blickt auf Haine und Heiden in kräftigem Ocker und Grün. Ein kleine menschliche Figur steigt mit einem Rind auf einem gewundenen Weg nach oben. Menschen tauchen in späteren Bildern nicht mehr auf. Hinzu kommen Tuschezeichnungen im Stil alter Meister, Leihgaben des Museums für Asiatische Kunst. Sie ordnen Qiu in die Tradition der chinesischen Landschaftsmalerei ein, mit zurückgenommenen Farben, zarten Schraffierungen, die einen massiven Felsen nur andeuten, bevor sie in die Abstraktion abgleiten. Und immer wieder leere Flächen, die die Fantasie selber füllen muss.

Was die Landschaften betrifft, „so kann ich nicht sagen, ob sie eine Spiegelung von mir sind oder ob ich eine von ihnen bin“, schreibt Qiu Shihua im Katalog. Er hat sich dem Taoismus zugewendet, einer Geisteshaltung, bei der man die Dinge einfach auf sich zukommen lässt. Fremd muss das dem europäischen Betrachter nicht sein. Auch die romantische Malerei kannte Seelenlandschaften.

Noch eindeutiger knüpft der in Peking und Shenzhen lebende Maler an die jüngste Kunstgeschichte an. Wann ist ein Bild ein Bild? 1918 setzte Malewitsch ein weißes Quadrat auf weißen Grund; schon Robert Rauschenberg malte in den Fünfzigern in seinen „White Paintings“ die Stille. Und ein Nagelrelief von Günther Uecker heißt ebenfalls „Weißes Feld“.

Die schönste Parallele tut sich beim Verlassen des Hamburger Bahnhofs auf, angesichts von Dan Flavins Leuchtröhren-Installationen. Die Farben strahlen auf die weißen Museumswände ab, ergeben Skalen von verschiedenen Weißtönen. Wer bei Qiu Shihua ganz nah an die Leinwand tritt, entdeckt Violett, Grün, Blau. Was war noch mal weiß? Anna Pataczek

Bis 5. August, Invalidenstr. 50 , Di - Fr 10 - 18 Uhr, Sa 11 - 20 Uhr, So 11 - 18 Uhr. Katalog 50 €. www.qiushihuainberlin.org

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