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Mudar El Scheich, Flüchtling aus Syrien (l.) unterstützt den italienischen Sterne-Koch Roberto Petza (r.) aus Sardinien in einem Street-Food Truck der Berlinale.

© Thilo Rückeis

Street Food Market der Berlinale mit Geflüchteten: Am Krisenherd

Integration heißt kulinarisch Fusion: Roberto Petza kocht mit Geflüchteten auf dem Street Food Market der Berlinale

Möglich, dass Sie auf der Berlinale einen der wuchtigen Filme über Flüchtlinge gesehen haben, deren Schicksal Sie geschüttelt und gerührt zurückgelassen hat. Vielleicht haben Sie dabei Hunger entwickelt und den Weg zum Street Food Market gefunden, und dann sind Sie beim Blick auf das Angebot womöglich hängen geblieben am nie zuvor probierten Sardischen Kartoffelschaum. Mittendrin ein quasi ewig, in niedrigen Temperaturen gegartes Ei. Alles auf krossen Zwiebeln.

Ein direkter Blick in grüne Augen und das offene Gesicht eines 30-Jährigen. Wie könnte man auch ahnen, dass hier der echte Flüchtling, mit seiner noch unerzählten Geschichte, das Essen reicht? Ein paar Münzen gehen von Hand zu Hand. Mudar el Scheich aus Aleppo lächelt. Es ist nur ein flüchtiger Eindruck.

Während sich die Zuschauer des Festivals im Kinosaal von den Geschichten der Geflohenen berühren lassen, während George Clooney in gleicher Sache bei Angela Merkel sitzt, kocht der sardische Sternekoch Roberto Petza mit zweien von ihnen abwechselnd auf dem Street Food Market am Potsdamer Platz.

Roberto Petza und die Geflüchteten erfinden neue Rezepte

Der Truck mit der syrisch-sardischen Mittelmeerküche wird intern „Migrant Truck“ genannt, was natürlich unglücklich ist, weil der Gedanke an einen Migrant Truck automatisch das Bild eines geschlossenen Lasters hervorruft, in dem irgendwann die Luft zum Atmen knapp wird. Völlig falsche Assoziation. Denn hier werden aus der offenen Klappe „Fava Bean Rolls“ gereicht, Bohnen im typisch sardischen Brot der Fischer, dem „Pani Lentu“, und aus der Tür federt nun der agile Roberto Petza und schlingt die Arme um seinen Oberkörper, denn dies ist Berlin im Februar. Der Sarde friert. Dabei steht er am Herd. Am Krisenherd.

Roberto Petza macht nicht mal eben was mit Geflüchteten, weil das jetzt alle tun. Petza führt sein Restaurant S’Apposentu in einem Dorf mit 250 Einwohnern auf der Mittelmeerinsel Sardinien, und auch in Italien herrscht ja kein Mangel an Flüchtlingen. Viel länger schon als die Syrer in Deutschland kommen Afrikaner in Italien an. Petza wollte etwas tun. Er kontaktierte die Caritas und lud letzten Oktober Menschen aus Ghana, Mali, Somalia und Nigeria ein, die Lust auf Kochen hatten. Am ersten Vormittag, erzählt Petza, haben sie für ihn gekocht – ein Gericht aus ihrer Heimat. Am Nachmittag hat er die Gerichte verfeinert, mit ihnen gespielt, ihnen sardische Noten verpasst und sie ein bisschen auf die Originalität eines Sternekochs getrimmt. Am nächsten Tag haben die Flüchtlinge seine Rezepte nachgekocht. Er hatte ihre in seine Gerichte integriert. Oder seine in ihre?

Integration heißt kulinarisch Fusion.

Gerichte der Mutti

Es war ein Experiment, das alle Teilnehmer begeisterte, und als man ihn fragte, ob er bei der Berlinale kochen wolle, wünschte er sich neben seinem mitgebrachten Team noch zwei Syrer. „Kichererbsen werden in Syrien viel benutzt, und auch Bohnen.“ Sie kommen hier nun also genauso vor wie seine italienischen Zitronen, Zwiebeln und Kräuter.

Es sind in Wahrheit Petzas Rezeptideen, sagt Mudar el Scheich, der vor über anderthalb Jahren aus Aleppo über Land nach Deutschland kam, der als Arabischlehrer gearbeitet hat, sein Deutsch glänzend poliert und lange Zeit jeden Abend kochte, was er von der Mutter gelernt hatte. Am liebsten Mash Mahshie, ausgehöhlte Zucchini, gefüllt mit Rindfleisch und Reis, Knoblauch und Minze in Tomatensauce. Dann gelang es, die Familie nachzuholen. El Scheich ließ den Kochlöffel sinken. Seit zwei Monaten kocht jetzt wieder die Mutter für ihn.

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