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Kultur: Streicherglück

Warum das Artemis Quartett alles richtig macht: ein grandioser Konzertabend in Berlin

Ausgesprochen jung ist das Publikum an diesem Abend im philharmonischen Kammermusiksaal. Und besonders aufmerksam – sogar bei diesem hochkalibrigen Programm, bei Streichquartetten von Mozart, Ligeti und Bartók. Das Artemis Quartett macht aber auch alles richtig. Erstens verlässt es sich darauf, dass Reinheit und Strenge immer noch die besten Mittel gegen die Zumutungen einer überreizten Welt sind. Die Gattung „Streichquartett“ erlaubt nun einmal, Anspruchsvolles, Hochkompliziertes unters Mikroskop zu legen und ganz in Ruhe zu betrachten. Zwei Geigen, Bratsche, Cello. Notenständer, Hocker. Sonst nichts.

Zweitens gelingt dem Artemis Quartett die Vermittlung. Keine Sperenzchen auch hier: Vor dem zweiten Streichquartett von Ligeti von 1969 zum Beispiel stellt sich Cellist Eckart Runge hin und spricht. Nicht ohne feinen Humor, gleichermaßen werbend und freundlich-solidarisch Distanz nehmend. „Die wirklich schlechte Nachricht des Abends“, sagt Runge zum Beispiel: „Es gibt keine Melodie und keinen Rhythmus.“ Einen „ziemlich kostspieligen Satz“ nennt er dann den vierten Quartett-Abschnitt. Weil Ligeti angewiesen habe, das Stück so „brutale, tumultuoso“ zu spielen, dass recht viele Bogenhaare dabei draufgehen. Drittens aber ergibt sich aus der solcherart geschürten Neugier des Publikums ein ideales Hörbiotop für ein viertens zutiefst interessantes Programm, das fünftens von fabelhaften Interpreten bestritten wird.

Eng, fein, schnell vibriert: Natalia Prishchepenko und Heime Müller an den Geigen sind sich noch in den schroffen Attacken dieses vierten Ligeti-Satzes blutsgeschwisterhaft einig. Der zweite Satz war Reise durch einen fremden Mikrokosmos gewesen, durch ungeahnte Klangwelten, Tropfsteinhöhlen, schilfiges Gelände, der letzte Satz aus Mozarts KV 590 ein ewiges Britzilieren und Rollieren von Läufen, wie bei einer hängenden Platte. Jubelrufe schon vor der Pause, Spannung, danach Bartóks zweites Streichquartett (1915-17). Mit seinem wehmütigen ersten Satz, wie in die Vergangenheit hineingespielt, der endlosen Klage des dritten Satzes, dem still gezupften Schluss. Ein tiefer Abend, tatsächlich: große Kunst.

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