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Die Kindheitsdiebin. Angela Bittel als Frau Zucker. Foto: Braun/Drama

© Braun/drama-berlin.de

Kultur: Strom aus Kinderenergie

Die böse „Frau Zucker“ in der Neuköllner Oper

Originalität, so heißt es, ist die Kunst, seine Quelle zu verbergen. In der Tat: Stünden die Credits an die Gebrüder Grimm nicht dick auf dem Plakat, dann würde niemand hinter Peter Lunds neuem Familiengrusical „Frau Zucker will die Weltherrschaft“ einen altbekannten Plot aus den Kinder- und Hausmärchen vermuten. In dem neuen starken Stück, das die Neuköllner Oper in bewährter Zusammenarbeit mit dem Studiengang Musical Universität der Künste herausgebracht hat, kämpft die fantasiebegabte kleine Meg gegen Frau Zucker, deren finsterer Plan es ist, die überbordende Energie von Kindern abzusaugen, um Strom zu erzeugen. Das Schauderhafte daran: Die Kinder sind dann erwachsen. Es gehört zur Hintergründigkeit der Produktion, dass sie ohne märchenhaftes Setting auskommt, so dass die Nachbarswohnung das Knusperhäuschen und gutmeinende moderne Eltern böse Stiefmütter ersetzen können.

Sagenhaft sind das Niveau des Jahrgangs, Lunds Kunst, jedem im zehnköpfigen Cast einen (immer genutzten) intensiven Moment zur Selbstdarstellung zu geben, aber auch die Sicherheit, mit der Wolfgang Böhmer eingängige Hits platziert und in gekonnter Verbergung klassischer Quellen packende Musicalfinale komponiert. Und fantastisch ist die Choreografie von Neva Howard, die aus genau beobachteten Alltagsgesten, wie einem beiläufigen Blick nach der Uhr, tragende Gags zaubert.

Mit der frechen selbstbewussten Meg kreiert die umwerfend präsente Walesca Frank erneut den echt Lund’schen Typus der frechen unbeeindruckten Mädchen-Heldin, während Angela Bittel als Frau Zucker, Nadine Aßmann als ihre bösartige Auftraggeberin Dr. Giftig und Rupert Markthaler in der Rolle eines glatt grinsenden Aufziehmännchen-Vertreters für schrillen Slapstick sorgen. Dennoch bleibt die Produktion nicht auf dieser Ebene stehen: Mit Megs noch jungen, aber gestressten bzw. zum ersten Bierbauch neigenden Eltern gelingt Valerija Laubach und Nikolaus Heiber eine feine Paarstudie, während unsentimental gezeichnete Figuren wie die depressive Mutter (Andrea Sanchez del Solar) und das dicke Kind Hansi (André Haedicke) für zwickende Tiefenschärfe in dem rasanten Stück sorgen. Gute Märchen müssen auch manchmal böse sein. Carsten Niemann

Vorstellungen bis 31. Dezember

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