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Kultur: Superbett fürs Superleben

Aus dem Elternhaus kann man nicht austreten: Donald Antrims Antiroman „Mutter“

„Mother – you had me – I never had you.“ Was John Lennon sich damals, endlich allein unterwegs, von der Seele sang, betraf, wie er meinte, nicht nur ihn, sondern neunundneunzigeinhalb Prozent aller Eltern. Das wollen wir hier besser nicht nachrechnen, wahr aber ist, dass die Mütter in der Literatur schon länger nicht besonders gut wegkommen. Entweder haben sie irgendwas falsch gemacht, oder ihre schreibenden Kinder haben sie nicht verstanden. Die dritte Variante wäre, frei nach Loriot, daß Eltern und Kind eben einfach nicht zusammenpassen.

Und hier? Erst einmal ein Wort zum Titel, der ja monumentaler und pathetischer nicht zu denken ist und zum Stil dieses Buches ungefähr so gut passt wie ein gregorianischer Choral in die Eckkneipe. Er ist denn auch nicht von Antrim, sondern von Rowohlt oder wie der Mensch heißt, der das da in Reinbek verantwortet. Das gilt übrigens auch für den Untertitel „Kein Roman“, was ja fast wie eine Warnung klingt. Das Original heißt jedenfalls „The Afterlife. A Memoir“, und fertig. Ein eindrucksvolles Buch.

Und ein schreckliches, quälendes, gerade weil es so munter daherkommt, so unbedingt bei Laune bleiben will. Mit den Müttern ist es ja noch schlimmer als mit der katholischen Kirche, aus der man ja in Wahrheit auch nicht austreten kann: Getauft ist getauft und Kind ist Kind. Man bleibt sein Leben lang Tochter oder, noch schlimmer, Sohn (oder umgekehrt?). Von der Freiheit eines Christenmenschen bleibt da nicht viel.

Zurück zum Buch. Vor fünf Jahren ist Antrims Mutter gestorben, und dieses Buch ist offensichtlich nur ein weiterer Versuch, wenigstens etwas Distanz zu ihr zu bekommen. Sie war während all der Jahre seiner Kindheit und Jugend eine schwere Raucherin und vor allem Alkoholikerin, unberechenbar und jedwedes Familienleben zermürbend. Die Eltern ließen sich scheiden, heirateten wieder, trennten sich endgültig. Die Kinder blieben. Aufgehört hat die Mutter mit dem Saufen erst nach einer Nacht-und-Nebel-Aktion des Sohnes, als dieser längst erwachsen ist. Aber das muss man wirklich selber lesen.

Diese Mutter hat ihren Kindern – auch dem Mann, auch den Eltern, vor allem aber den Kindern – nichts geschenkt, es muss eine Kindheit gewesen sein, die man wahrhaftig nicht gehabt haben möchte. Noch nach ihrem Tod verfolgt sie ihren Sohn wie der Leibhaftige. Und er? Er ist von einer geradezu urchristlichen Demut, versucht, ihr gerecht zu werden, sie nicht zu verurteilen. Dass sie ihn um das Erbe des Großvaters zu betrügen versucht, scheint ihm zwar ausgemacht, so dass er einem halben Dutzend Anwälten hinterhertelefoniert, aber als sie verspricht, alles wieder ins Lot zu bringen, wozu die Todkranke gar keine Gelegenheit mehr haben wird, lenkt er sofort ein.

Das Buch beginnt mit einer völlig verrückten Geschichte, die eines Woody Allen würdig wäre, wenn ihm denn so was noch einfiele. Der Sohn kauft sich bald nach dem Tod seiner Mutter zusammen mit seiner Freundin ein Bett, will sich ein Bett kaufen, glaubt, dass ein neues Bett ein neues Leben bringt und ein Superbett ein Superleben. Er probiert es, und zwar zu Hause, das heißt, die Superbetten werden gebracht und ausgetauscht, gebracht und ausgetauscht – denn? Denn dieses Bett ist nichts anderes als die Mutterfalle: „Ich sank in das Bett, und es war, als sänke ich in ihre Arme. Sie saß nicht neben mir auf dem Bett, sie war in dem Bett; und sie zog mich in das Bett hinab, damit ich mit ihr starb. Es war mein Totenbett. Es war ein Sarg. Es war ein Sarkophag.“

Nicht nötig, den Jahresregenten Freud zu bemühen. Das Aufregende an diesem Buch bleibt ja, dass dieser Sohn bis zum Schluss seine Mutter zwar dann und wann hasst, aber nicht verachtet, geschweige denn (vor unseren Augen) denunziert und dass er trotzdem nicht so tut, als wäre an seiner Kindheit irgendetwas Rühmenswertes gewesen. Er behält seinen scharf-kritischen, Abstand suchenden, ja erflehenden Blick auf die Mutter und weiß zugleich, dass er sich von ihr nicht lösen kann. Wer dieses Buch gelesen hat, der wird wohl denken, dass man für „Kindesliebe“ ein neues, genaueres Wort erfinden müsste.

Ob dies ein Buch für Mütter ist? Wohl eher für Töchter und Söhne. Es hat auch verspielt-plauderhafte Szenen, die Autor und Leser gut brauchen können zum Luftholen und die sozusagen Romancier-Routine sind. Es ist überhaupt wohl kein bedeutendes Werk. Aber wessen Kinderherz nicht ganz versteinert ist, der kann es nicht ohne ein Aufseufzen lesen.

Donald Antrim: Mutter. Roman. Aus dem Amerikanischen von Nikolaus Stingl. Rowohlt Verlag, Hamburg 2006. 240 Seiten, 17,90 €.

Jochen Jung

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