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Kultur: Symphonie der Einsamkeit

KLASSIK

Johannes Brahms steht bei den derzeitigen Dirigenten nicht hoch im Kurs. Im Gegensatz zu Mahlers Endzeitvisionen etwa scheinen die Brahms-Sinfonien mit ihrer klassisch-romantischen Versöhnungsbotschaft kaum gegenwartsrelevante Fragen aufzuwerfen. Doch wenn der 76-jährige Herbert Blomstedt am Pult steht, zeigt sich schon nach wenigen Takten, dass auch Brahms mehr zu bieten hat als abgezirkelte Gemütsbefriedigung. Blomstedt dirigiert Brahms und hat Sibelius im Kopf: eine Musik der Einsamkeit, die neben den Noten immer auch die Leere um sie herum spürbar werden lässt. Die scheinbar so idyllische Zweite geht er in der Philharmonie weit langsamer an als üblich, versucht nicht, die lockere Textur zu forscher Munterkeit zu verdichten. Statt dessen steht Blomstedts Brahms immer an der Schwelle zum Verstummen, spannt sich das kammermusikalische Rankenwerk über einem Abgrund, dessen Tiefe hin und wieder durch das schwarzmetallisch aufwallende Orchester markiert wird.

Es liegt in der zwingenden Konsequenz dieser Interpretation, dass auch die Ausgelassenheit des Finales bei Blomstedt in anderem Licht scheint - als geradezu gewaltsamer Versuch, alle Zweifel zu überblenden. Eine Serenade auf eine untergegangene Welt, für die das Deutsche Symphonie-Orchester den zerbrechlichen, auch in Augenblicken pastoraler Süße nie sentimentalen Ton besitzt. Vorausgegangen war ein etwas fragwürdiges Kontrastprogramm: Das Cellokonzert des Amerikaners Richard Danielpour protzte mit einem prätentiösen Programm und klang doch bloß nach „Denver-Clan“. Da half es leider wenig, dass Jens-Peter Maintz, der Solocellist des DSO, diese Musik viel distinguierter spielte, als sie es verdient hat.

Jörg Königsdorf

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