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Kultur: Tänzer trifft Träumer

Jazzfest: Michel Portal und Archie Shepp im Haus der Berliner Festspiele.

Vielschichtiger hätte dieser große Jazzfest-Abend im Haus der Festspiele kaum sein können. Zwei Protagonisten der Jazzgeschichte sind da zu erleben, die sehr unterschiedliche Ansätze des Musikmachens repräsentieren und das auch detailliert vorführen. Als Archie Shepp in der Band von Cecil Taylor spielte und lernte, hatte Michel Portal gerade sein Studium am Pariser Konservatorium beendet.

Als Shepp mit seinem Album „Fire Music“ dem politisch motivierten freien Jazz einen Namen gab, stand Portal mit Edith Piaf auf der Bühne und beschäftigte sich mit Stockhausen. Shepp, der Autodidakt aus dem „Konservatorium der Straße“, schwärmt heute noch von den Jazz-Musikern in Philadelphia und einer idealisierten Black Neighborhood, in der man sich respektierte und voneinander lernte.

Dass der 77-jährige Portal mit seinem Quartett – bestehend aus Louis Sclavis, Daniel Humair, Schlagzeug, und Bruno Chevillon, Bass, allesamt selbst gefeierte Bandleader und Komponisten – den Abend beginnt, war sinnvoll. Sanfte Melodielinien, feinnervige Arrangements, tänzelnde Grooves und hochvirtuose Improvisationen erscheinen hier in einem kammermusikalischem Setting, in dem die Geschichte des europäischen Free Jazz bestenfalls noch als Ornament vorkommt. Portal und Sclavis, beide mit Bassklarinette und Sopransaxofon zu hören, führen zwei Generationen der französischen Szene an und stehen für einen Weg, der mit „imaginäre Folklore“ auch Jahrzehnte später immer noch gut und sehr aktuell beschrieben ist. Auch wenn diese Herren mal etwas lauter werden oder rasant: Das Filigrane in Portals Kompositionen beherrscht das erste Set.

Auch Archie Shepp kann auf die Qualität seiner Mitspieler setzten. Mit Steve McCravern, Schlagzeug, und Wayne Dockery, Bass, bringt er zwei Weggefährten nach Berlin. Neuer ist Shepps kürzlich intensivierte Zusammenarbeit mit der Pianistin, Organistin und Sängerin Amina Claudine Myers, die mit eigenen Gospel- Kompositionen Raum an der Seite des charismatischen Bandleaders bekommt.

Mit „U-jaama“, einst eine seiner jüngsten Tochter gewidmeten Komposition, eröffnete Shepp seinen musikalischen Traum von einer Gemeinschaft, die zusammen Großes vollbringt. Der 75-jährige Shepp hat die Rolle des zornigen schwarzen Saxofonisten, mit der er besonders in Europa erfolgreich war, nie abgelegt. Er selbst spricht von vielen Masken, die er trage, wie es die Situation erfordere. „Mama Rose“ handelt von den Folgen der Sklaverei. „We Are The Victims“, schreit Shepp, als drohe da heute etwas in Vergessenheit zu geraten.

An diesem Abend überwiegt neben weiteren Shepp-Klassikern wie „Mama Too Tight“ oder „The Stars Are In Your Eyes“ der Blues. Nur selten hat Shepp für dieses ihm so liebe Genre eine derart superbe Partnerin gehabt wie Amina Claudine Myers. Mit dem Sound ihrer Hammond-Orgel scheint sie die älteren Herren auf der Bühne in die Kirche ihrer Kindheit zu versetzen. Es ist große schwarze Musiktheatralik, was Shepp da zelebriert.

In Myers „Hard Time Blues“ singt er im Duett mit ihr den „Boogie-Man“ und erfreut sich sichtlich an der Rolle, in die er schon immer so gern schlüpfen wollte. Die Männer des Blues sind für ihn deshalb so unerreicht und authentisch, weil sie ihren Black Song für Schwarze gesungen haben. Da ist er jetzt fast angekommen – am vorläufigen Ende der langen musikalischen Reise des Archie Shepp stehen Gospel und Blues. Christian Broecking

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