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Die Autorin Anja Kampmann, geboren 1983 in Hamburg.

© Juliane Henrich

Anja Kampmanns „Wie hoch die Wasser steigen“: Tage wie aus dem Rumtopf

Nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse: Anja Kampmanns lichttrunkener Roman „Wie hoch die Wasser steigen“ über einen Ölbohrarbeiter.

Heißt der Mann nun Wenzel oder Waclaw oder vielleicht Wacław? Wahrscheinlich weiß es der wortkarge Bohrarbeiter selbst nicht mehr. Das dürfte an der Einsamkeit seines sturmumtosten Arbeitsplatzes liegen, weit draußen im Atlantik vor der Küste Marokkos, aber ebenso an der exzessiven Lichtmetaphorik, der Wenzel/Waclaw/Wacław als Hauptfigur in Anja Kampmanns Roman „Wie hoch die Wasser steigen“ unentwegt ausgesetzt ist.

Anja Kampmann wurde 1983 in Hamburg geboren und lebt in Leipzig. Vor zwei Jahren fand ihr Lyrikdebüt „Proben von Stein und Licht“ viel positive Resonanz. In ihrem ersten, fast schon provokant handlungsarmen Roman wird jetzt allerdings aus einer „Probe von Licht“ eine Überdosis Lux, die 352 Seiten lang strahlt: Auf so gut wie auf jeder Seite findet sich mindestens eine Licht-, Beleuchtungs- oder Dunkelheitsmetapher. Dadurch zwingt die Verfasserin den armen Wenzel – und mit ihm die Leserin, den Leser – permanent auf eine sprachliche Sonnenbank, bis sich bei geschlossenen Augen Farbblitze zeigen.

Es beginnt auf der ersten Seite harmlos mit dem „schimmernden Licht der Cola-Automaten“, doch das wichtigste Element und Stilmittel dieses Buches nimmt rasch Fahrt auf: „Es war das erste Mal, dass er den Heliport Sidi Ifni anders als in dem grauen Fünfuhrlicht sah, unter dem sie die letzten Male hier aufgebrochen waren.“ Mit „sie“ sind der polnischstämmige Deutsche Waclaw/Wenzel und sein ungarischer Kollege Mátyás gemeint – alle Orts- und Personennamen sind möglichst ungewöhnlich und sollen den Eindruck eines nomadischen, ja kosmopolitischen Geschehens befördern.

Will die Autorin die Leser betäuben?

Der Rausch des Schauens führt an einer Stelle dazu, dass in gleich sechs Druckzeilen sechsmal das Verb „sehen“ vorkommt: „Er sah die bekannten Schüsseln mit dem Schlick, den Steinen und schlammigen Erden, sah alles, was ihm bekannt war, die Schüsselsiebe, die Monitore und Schläuche, sah Petrov mit seinem gutmütigen Lächeln, aber er sah Mátyás nicht. Wo ist dein Freund heute morgen? Petrov nahm die Schutzbrille ab und sah ihn an. Genau so, wie Waclaw ihn ansah."

Was bezweckt die Autorin mit diesen Wiederholungen, will sie die Leser betäuben? Ein tieferer Sinn solcher Maßnahmen, die den Textfluss erschweren, erschließt sich jedenfalls nicht. Das ist bedauerlich, denn von seinem Ursprungsschauplatz her ist „Wie hoch die Wasser steigen“ durchaus originell und erzählerisch reizvoll: „Von den Plattformen in der Nordsee erzählte man sich Übles, der Rost greife schneller um sich, als vier Mann dagegen ankämpfen konnten, und die ausgesaugten Felder hinterließen Hohlräume, instabile Gebiete.“

Wenzel und Mátyás teilen sich eine Kabine, über die Jahre entwickelt sich eine Freundschaft – so eng wie das „Aneinander der Neonröhren" im Innern der Bohrplattform und erotisch getönt. Doch eines Nachts verunglückt Mátyás tödlich im Sturm. Die Bohrfirma zeigt kein Interesse daran, den Vorfall aufzuklären. Also packt Wenzel die Sachen des Verstorbenen zusammen, um sie dessen Familie in Ungarn zu überbringen, ein letzter Freundschaftsdienst.

Bilder und Stillleben von betörender Schönheit

Das ist der Beginn einer träumerischen, saumseligen Odyssee in Richtung Norden, denn es zieht Wenzel überdies auch zu seiner Geliebten Milena, die er an der polnischen Ostseeküste zurückgelassen hatte, um auf weitaus größeren Meeren Geld zu verdienen. Tanger, Malta, Budapest, Rom, Südtirol und schließlich auch noch das Ruhrgebiet sind die Stationen dieses Roadmovies, die bis auf die letzte Station seltsam undefiniert bleiben. Im Ruhrgebiet aber, da kennt sich Anja Kampmann ziemlich gut aus, hier darf ihr Protagonist endlich etwas mehr Kontur annehmen und sich an seine Kindheit erinnern: „Waclaws Vater saß in der Frühlingssonne hinter dem Haus. All das Licht. Als wäre er aus einem viel längeren Winter gekommen.“

Immer wieder gelingen Anja Kampmann Bilder und Stillleben von betörender Schönheit, etwa wenn es um die Frauengeneration von Waclaws Mutter geht, deren Leben sich zwischen dem Tennisplatz des Werksvereins und der heimischen Fensterbank mit den zu hegenden Orchideen abspielte, „Tage, blass und still wie die Früchte in einem Rumtopf“. Solche Preziosen können als Miniaturgedichte für sich ganz gut alleine stehen, und darin liegt das Problem: Sie schaffen zwar eine Atmosphäre, indes noch keinen ganzen Roman. Dieser erfordert ein Mindestmaß an Handlung und Figurenzeichnung, will er sich von einem Rumtopf mit eingelegter Poesie unterscheiden.

Anja Kampmann: Wie hoch die Wasser steigen. Roman. Hanser Verlag, München 2018. 352 Seiten, 23 €.

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