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Einer von Neun: Tagesspiegel-Leserjuror Andreas Steinmann.

© Mike Wolff

Berlinale-Jury des Tagesspiegels: Tagebuch eines Leser-Jurors

Eine Reise in 10 Filmtiteln: 31 Filme sah unsere Leserjury dieses Jahr auf der Berlinale, alle Weltpremieren im Programm des Forums. Juror Andreas Steinmann, einer der neun Unerschrockenen, erinnert sich an die Abenteuerreise.

Eine Reise in 10 Filmtiteln

Atom Heart Mother

Gleich zu Beginn ein verstörendes Werk; ein unglaublich moderner Film aus dem Iran mit einer nächtlichen Bilderflut und einer schrägen Story mit zwei Frauen im Vordergrund und dem personifizierten Faschismus im Background. Wir wanken leicht zitternd aus dem Kino!

Mud Woman

Wieder starke Frauen im Zentrum der Handlung. Dazu unglaublich schöne Bilder der chilenischen Berge. Eine Frau wehrt sich gegen ihre Peiniger. Ganz subtil, obwohl die Pistole tatsächlich in die Hand genommen wird. Aber die Erniedrigung des Tyrannen wiegt mehr als eine Exekution. Der erste nachhaltige Eindruck für uns. Ein Favorit? Wer weiß?

Hedi Schneider

Der Film kommt im Tarnanzug. Was zunächst wie eine comedyartige Familien-Soap erscheint, steigert sich zum Psycho-Drama mit der Protagonistin im depressiven Schub. Aber der Film kann sich nicht entscheiden. Ein Psychogramm? Oder doch eine Komödie? Zweifellos brillant die Schauspielerin... Laura Tonke.

Flotel Europa

Nanu, ist die digitale Elektronik im Kino kaputt? Streifen im Bild, Aussetzer, fehlender Ton! Ach nein, es ist VHS-Videomaterial, das bosnische Flüchtlinge aus Dänemark in die Heimat gesendet haben. Das Leben auf dem Hotelschiff in Kopenhagen ist verblüffend spannend dolumentiert. Und eine Fülle an Leben...man glaubt es nicht! Puh, war der Film gut!

K.

Oh, Kafka aus der Mongolei – na das ist doch mal etwas Neues. Das Schloss – so der Titel der fragmentarischen Romanvorlage, ist eine Schimäre, existiert es wirklich? Jedenfalls gibt sich der Landvermesser mit wilder Mähne und zotteligem Bart alle Mühe, dorthin zu gelangen. Aber die Anstrengung ermüdet ihn. Uns auch? Nein, nicht alle!

Exotica, Erotica etc.

Welch ein Titel! Sehnsüchte pur! Und die erfüllt der Film perfekt. Und wo sollte es anders sein als auf den sieben Weltmeeren. Und wenn dann noch eine Frau, die Männer immer so ganz professionell geliebt hat, ihr reiches Herz ausschüttet, ist das Poesie pur! Und diese schönen Bilder! Zum Verlieben! Taumelnd vor Glück verlassen viele das Kino!

Zurich

Der Titel täuscht! Wer einen Film aus der Schweizer Fianzmetropole erwartet hat, muss in ein anderes Kino gehen. Zurich liegt nämlich in Holland, und da stammt auch die Hauptdarstellerin her! Von Schicksalsschlägen gezeichnet, sucht sie die Welt der harten Trucker. Ein richtiges Road-Movie. Auch Country-Klänge fehlen nicht! Eigentich sehr amerikanisch auf deutschen Autobahnen. Vielen gefällt es. Warum eigentlich nicht?

The Boda Boda Thieves

Au, der Film wurde vorher schon hoch gehandelt! Ein Streifen aus Uganda, aus der pulsierenden Hauptstadt Kampala. Und dort gibt es geschätze 1 Million boda-bodas, also Motorräder zum schnellen Waren-und Personentransport. Und so ein Gefährt spielt dann auch die Hauptrolle. Aber außer Verfolgungsjagden á la James Bond bleibt wenig in Erinnerung!

Superwelt

Eine Frau, die mit Gott flirtet? Na, aber bitte schön! Ein schräger Film aus Austria? Nein, überhaupt nicht! Eine tolle, stringente Geschichte über das öde Alltagsleben einer Kassiererin, die einfach mal mit Gott fremdgeht! Und das entlarvt so viel am bürgerlichen Leben wie es kaum jemand erwartet hätte. Alle Achtung, kurz vor Schluss ein Geheimtipp! Und das direkt vor der Forums-Party!

Über die Jahre

Der letzte Film! Von 31! Kann er noch das Blatt wenden? Nein, nein, dieser Film nicht – wenn er sich auch lange, lange 188 Minuten Zeit nimmt, Überzeugungsarbeit zu leisten. Er ist ein wunderbares Dokument über die Fähigkeit des Menschen einen Neuanfang zu wagen, der Arbeitslosigkeit zu trotzen! Mehr aber auch nicht!

Counting

Oh, sorry, den Film gibt es wirklich, aber er wird hier nicht besprochen. Wir haben halt nur zusammengezählt! Und es gab viel zu zählen: Plätze 1, 2, 3 oder Punkte oder Deals unter der Stuhlkante, Nein, stimmt natürlich nicht! Wir sind eine seriöse Jury!

Wir hatten zwei dicke Favoriten, und deshalb war die Entscheidung ganz einfach! Na, von wegen! Wir haben gestritten, dass sich die Tischbeine bogen, und plötzlich war die Entscheidung da..., und die Nr. 2 war mein Favorit (Tränchen im Knopfloch!), aber am Ende.... – ach, wir lieben ihn alle!!!

THE WINNER IS:

FLOTEL EUROPA von Vladimir Tomic

The Day Run Away Like Wild Horses Over the Hills

Nachtrag: Gigantisch, wie schnell die Zeit verging, ein Rausch, den wir erleben durften, auch wenn unsere Augen jetzt Kameralinsen sind und die Ohren Mikrofone. Es war eine unglaublich schöne Zeit!

DANKE TAGESSPIEGEL!!!

Andreas Steinmann

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