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Talk mit Christoph Schlingensief: Im Dschungel der Medien

Wie arbeitet Christoph Schlingensief? Zwei Filme begleiten den Regisseur des Chaos. Hier der Kult-Künstler, zu dem man zwecks Selbstdarstellung eilt, dort der Regisseur, der sich selbst als Tourist fühlt und auf den die Einheimischen schlichtweg ernsthaft gespannt sind.

Jaja, vertraut Claudia Roth so großäugig wie möglich der Kamera an, während ihr eine Maskenbildnerin mit dem Schminkpinsel übers Gesicht fährt: Sie schätze Christoph Schlingensief sehr für seine Art, „immer mal wieder zu provozieren, anzuecken mit Form und Inhalt.“ Deshalb sei sie als sein Talkgast in die Akademie der Künste gekommen.

Obwohl Roth den möglichst gegenteiligen Eindruck erwecken will, wirkt sie wie geradewegs von einem Grünen-Parteitag hereingeschneit: Der Selfmarketing- und Agitations-Modus ist noch nicht heruntergefahren. Doch seien wir gnädig. Claudia Roth geht es nicht gut an diesem Tag. Ein enger Freund, der türkisch-armenische Autor Hrant Dink, sei vor wenigen Stunden erschossen worden, verrät sie Schlingensief vor der Aufzeichnung. Darüber rede es sich nicht so leicht. Es geht dann im Talk um nichts anderes. Auch Lea Rosh findet, man solle bei Schlingensief unbedingt „versuchen, dabei zu bleiben.“ Jedenfalls rät sie das dessen Mitarbeiterin Nicole Konstantinou am Rande der Aufzeichnungen. Roshs unschlagbare Begründung: „Der ist schon ganz ulkig.“

Schlingensief mit "Die Piloten" im Kino

Die Aktion, der wir derartige Perlen der Unterhaltungskultur verdanken, datiert aus dem Jahr 2007: Zehn Jahre nach seiner kultverdächtigen Talkshow-Parodie „Talk 2000“ hatte Schlingensief in die Akademie der Künste geladen, um Piloten für ein neues Talk-Format zu drehen. Und wiewohl diese niemals ausgestrahlt werden, fand sich die angefragte Prominenz, bereitwillig ein: Neben Roth und Rosh zum Beispiel der Menschentröster Jürgen Fliege, der Filmregisseur Oskar Roehler, die Schauspielerin Katharina Schüttler, der Akademie-Präsident Klaus Staeck, der Aktionskünstler Hermann Nitsch, der Rapper Sido oder der Chorleiter Gotthilf Fischer. Cordula Kablitz-Post, die gemeinsam mit Schlingensief den „Talk 2000“ entwickelt hatte, dokumentierte die Aktion. Das Resultat ist jetzt unter dem Titel „Die Piloten“ im Kino zu sehen.

Für Schlingensiefs Konzept – die erhellende Totalkonfusion zwischen Inszenierung und vermeintlicher Realität, die Verwischung sämtlicher Ebenen vom Talk übers Hintergrundgespräch bis zur selbstkritischen Analyse mit dem Medientheoretiker Boris Groys – treffen in der Akademie Eingeweihte und Nichteingeweihte aufeinander. So wird Rolf Hochhuth beim vollmundigen Dozieren über die realpolitischen Folgen seiner frühen Theaterarbeiten von einer eingeweihten Schauspielerin belagert, die Schlingensief vorher instruiert hatte, die krankhaft glühende Hochhuth-Verehrerin zu geben. Ob diese Störmanöver funktionieren oder relativ wirkungslos versacken, ist, wie immer bei Schlingensief, völlig zweitrangig: Es geht darum, wie beim Billard ständig Kugeln ins Feld zu stoßen und zu schauen, was passiert. Das Heftigste, was Schlingensief ins Talk-Spiel bringt, sind Krankheit und Tod. Er konfrontiert seine Gäste damit, dass sein Vater zu Hause in Oberhausen im Sterben liegt, geißelt sich vor laufender Kamera dafür, nicht bei ihm zu sein und löst Betretenheit aus.

Medialer Selbstinszenierungszirkus

Heute, da Schlingensief selbst an Lungenkrebs erkrankt ist und der letzte „Zwischenstand der Dinge“, wie er in seiner klugen, kitschfrei-berührenden Auseinandersetzung mit seiner Krankheit im Gorki sagte, nicht gut aussieht, erfährt dieser Aspekt natürlich noch einmal eine knallharte Bedeutungsaufladung – bis zur Erträglichkeitsgrenze. Der mediale Inszenierungszirkus, der sich bei diesem Stelldichein so unwissend-bereitwillig selbst vorführt, erscheint vor diesem Hintergrund noch einmal um Grade hohler, exhibitionistischer, pervertierter.

Wenn man an Kablitz-Posts gelungener Dokumentation überhaupt etwas bemängeln kann, dann ist es die Tatsache, dass sie die Ebenen, die Schlingensief programmatisch verwischt, durch ihre Hintergrundgespräche wieder relativ klar sortiert. Dadurch droht das Projekt momentweise auf eine Stufe der Medienkritik zurückzufallen, die Schlingensief gerade auch durch die Konfusion von Selbstinszenierung, Fake und vermeintlicher Wahrhaftigkeit in seiner eigenen Person längst hinter sich gelassen hat.

Noch eine Schlingensief-Nahaufnahme: "Der zweite Traum" im ZDF-Theaterkanal

Als Metakommentar könnte über den „Piloten“ die dialektische Kunst-Aufklärung des Schlingensief-Dramaturgen Carl Hegemann stehen. Kunst dürfe nicht nach Kunst aussehen, denkt der Philosoph laut nach, sonst handele es sich um Kunstgewerbe. Kunst dürfe aber auch nicht nach Kunst aussehen, sonst könne man gleich auf die Straße gehen. Und für den Raum dazwischen, in dem Kunst eben wirklich Kunst ist, sei Schlingensief ein wahres Genie. Hegemann sagt diese schönen Sätze aber nicht in der Akademie der Künste, sondern an einem idyllischen Pool im brasilianischen Manaus, wo Schlingensief im Frühjahr 2007 Wagners Oper „Der Fliegende Holländer“ inszenierte.

Lennart Laberenz, der Bruder von Schlingensiefs Lebensgefährtin, der Bühnen- und Kostümkünstlerin Aino Laberenz, hat die zweimonatige Arbeit begleitet. Die Produktion „Der zweite Traum“, die jetzt im ZDF-Theaterkanal läuft, erweist sich als ideale Ergänzung zu Kablitz-Posts Kinofilm. Denn tatsächlich zeigen beide Dokumentationen verschiedene Perspektiven auf Schlingensief und seine Arbeit: Hier Claudia Roth, die medienwirksam lobend vom „Anecken“ spricht, dort die brasilianischen Sänger/innen, die entspannt lachend zu Protokoll geben, Christoph sei schon „sehr speziell“. Hier der Kult-Künstler, zu dem man zwecks Selbstdarstellung eilt, dort der Regisseur, der sich selbst als Tourist fühlt und auf den die Einheimischen schlichtweg ernsthaft gespannt sind.

Wo Kablitz-Post analytisch die Arbeitsmethode offen legt, ergänzt Laberenz das Bild durch eine angenehm unspektakuläre Nahaufnahme: Christoph Schlingensief beim Hämmern am Bühnengerüst, beim Hinterhertelefonieren nach nicht eingetroffenen Containern, bei Außenaufnahmen im Dschungel und bei letzten Korrekturen an der Hauptdarsteller-Perücke. Es ist tatsächlich ein großer Gewinn, beide Filme zusammen anzuschauen.

„Die Piloten“ ab 8. 1. in Berlin im Kino: 19 Uhr Babylon Mitte, 21. 15 Uhr Eiszeit. – „Der zweite Traum“ am 4. 1., 21. 15., im ZDF-Theaterkanal, bis 31. 1. Wiederholungen (Termine: www.theaterkanal.de).

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