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Tanztheater: Sturz in die Finsternis

Fünf Tänzer tappen im Dunkeln: Toula Limnaios’ düsteres Tanzstück „Secrets Perdus“ in der Halle Tanzbühne im Prenzlauer Berg.

Von Sandra Luzina

Mit einer Taschenlampe bewaffnet stürmt der Tänzer Ioannis Avakoumidis auf die rabenschwarze Bühne. Vage zeichnen sich die Silhouetten von vier Frauen in der Dunkelheit ab. Grell leuchtet der Mann die Nachtgeschöpfe an, er will Licht in die Finsternis bringen, tief in die verborgensten Winkel ihrer Seelen hineinblicken.

Toula Limnaios lässt in ihrem Stück „Secrets Perdus“ in der Halle Tanzbühne fünf Tänzer im Dunkeln tappen. Auch den Zuschauer überkommt das Gefühl, sich mit offenen Augen durch einen Traum aus Angst und Lust zu bewegen. Die Bühne wird während dieses choreografischen Notturnos nie hell. Blitzlichter von Kameras, Taschenlampen, Grubenlampen und Leuchtstäbe sind die einzigen Lichtquellen. Wenn die Flashs die Düsternis erhellen, werden die Bewegungen in Bruchstücke zerhackt. So entstehen gespenstische Momentaufnahmen von Frauen, die aufbegehren, die ausbrechen wollen – aber immer wieder von ihren Obsessionen verfolgt und festgehalten werden.

Diese Frauen sind wie Phantome in einer Dunkelkammer. Sie sind schöne Somnambulen, die den Mann bedrängen wie eine wiederkehrende schmerzende Erinnerung. Toula Limnaios erweist sich wieder als Seelenforscherin mit einem Faible für das Abgründige. Rätselhaft, verschachtelt und fragmentiert ist die Erzählweise von „Secrets Perdus“ – das Stück fordert die Imagination des Zuschauers.

Gleich zu Anfang fragt man sich: Geschah hier ein Verbrechen, aus Leidenschaft gar? Man sieht Jannis Avakoumidis und Ute Pliestermann, die sich umschlingen, ein Liebespaar, das sich nicht voneinander losreißen kann. Dann sieht man ihre Körper reglos am Boden liegen. Fleur Conlon beschreibt den Tatort mit kühler Akribie, fertigt ein Protokoll des Verbrechens. Eine Szene, die von François Truffauts vorletztem Film „Die Frau von nebenan“ inspiriert wurde.

Zu der mysteriösen Atmosphäre trägt auch die Komposition von Ralf R. Ollertz bei, die wie ein Hörspiel wirkt. Aus einem Mono-Radio kommen Alltagsgeräusche und Musiken. Ein Chanson von Barbara, knisternde Stimmen des Polizeifunks, Telefonläuten, die Geräusche von über den Boden schleifenden Körpern.

Doch Gewalt und Zwang sind nur als Echo wahrnehmbar – als beklemmende Resonanz in den Körpern. Die Tänzer rücken sich zu Leibe oder stellen Liebespositionen nach. Wenn ein Tänzer sich aus der Umklammerung löst, bleibt eine Hohlform der Leidenschaft zurück. Toula Limnaios zeigt Körper, die aufgehalten wurden in ihrem Sturz ins Vergessen.

Manchmal ist der Wille zur Verdunkelung zwar durchsichtig – doch „Secrets Perdus“ entfaltet einen Sog, dem man sich nicht entziehen kann. Auch dank der Tänzerinnen. Ute Pliestermann, Fleur Conlon, Kayoko Minami und Mercedes Appugliese sind versierte Grenzgängerinnen, sie ziehen hinein in eine Welt aus Begehren und Wahn. Ihre dunklen Geheimnisse geben sie nicht preis. Sandra Luzina

Halle Tanzbühne, Eberswalder Straße 10–11, weitere Vorstellungen vom 25. bis 28. 11. sowie vom 2. bis 5. 12., 20 Uhr.

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