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Austherapiert. Jörg Gudzuhn. Foto: J. Fieguth

© Joachim Fieguth

Kultur: Tasse im Schrank

Jörg Gudzuhn gibt mit dem Monolog „Der Heiler“ seinen Abschied vom Deutschen Theater

Auch Therapeuten sind Menschen. Was für die sogenannten Normalsterblichen (also noch nicht Therapierten!) ein lauwarmer Partyspruch ist, kann für Patienten tödlich irritierende Kränkung und die Therapeuten selbst nie endendes Elend bedeuten. Zum Beispiel dann, wenn deren sogenannte professionelle Distanz etwa durch eigenen Liebeskummer angenagt wird und hinter der Maske des zugewandten Zuhörers die Dämonen der Gegenübertragung wahre Koboldstänze aufführen und jegliche Aufmerksamkeit an sich reißen. Patienten spüren das natürlich – die Unkonzentriertheit hinter dem wohlmeinenden Blick – zumindest die supersensiblen, hochintelligenten, unberechenbaren, halb neurotisch und halb psychotischen Borderliner, die „Allesfresser“ unter den Patienten. Anke Röpenack zum Beispiel. Stellt da ihr Wasserglas ab, verlässt tief gekränkt die Praxis und rennt schnurstracks vor einen Laster, also in den Selbstmord. Tja, Herr Professor Grebenhoeve, Supertherapeut mit Wunderheilerstatus. Dumm gelaufen.

Früher oder später sind also auch Therapeuten (wieder!) Patienten. Jörg Gudzuhn steht im dunklen Anzug des Büßers auf der weißen Bühne der DT Kammer und versucht in dem Monolog „Der Heiler“ von Oliver Bukowski vor einer unsichtbaren Supervisorin (die man sich irgendwo über den Zuschauerköpfen vorstellen muss) genau das wortreich und mit allen Tricks des Profianalytikers zu dementieren: dass er nicht mehr Herr im eigenen Haus ist. Er flüchtet sich in die Arroganz des Professors („Können Sie mir folgen?“), betreibt effekthascherisch Selbstkritik und zieht hämisch über neumodische Esoterik-Praktiken her.

Einerseits. Andererseits läuft „Der Heiler“ auf das kleinlaute Eingeständnis des Gegenteils zu: Der Verrückte ist eigentlich der Gesunde. Bukowskis Befunde sind also alles andere als neu, trotzdem sind seine Sprechschlaufen – von einigen Längen abgesehen – der reine Genuss.

So intelligent wurde lange nicht mehr aus und über die Psychowelt geschrieben. Bukowski imitiert mit beeindruckend präzise eingesetztem Fachvokabular den Analytiker-Jargon (und die zu Kalauern neigende Selbstironie der Zunft), aber eben nicht, um ihn (und sie) per se vorzuführen, sondern um erst einmal zu zeigen, was man mit ihm alles kann: Komplexe Beziehungen in Worte fassen, versteckte Kommunikationsstrategien aufschlüsseln. Die Beschreibungen und Erklärungen, mit denen Gudzuhn sich als Grebenhoeve verteidigt, bringen tatsächlich begriffliches Licht in ein diffuses Emotionsdunkel. Die Dekonstruktion der Rhetorik geschieht dann sozusagen unter der Hand, über die „Involviertheit“ und Ohnmacht des Therapeuten, der durch eine gewisse Sophie Brettschneider nicht nur an seine persönlichen Distanzierungsgrenzen, sondern auch in die Dilemmata der eigenen Tätigkeit geführt wird (während man auf der Mikroebene an der Stabilisierung des Ich arbeitet, schreit auf der Makroebene alles nach Maßlosigkeit) und schließlich nackt neben der toten Patientin aufgefunden wird – es war natürlich anders, als es scheint.

Mit dieser Sophie gelingt Bukowski das berührende Porträt einer hochgebildeten jungen Frau aus Berlin „Mitte“, die an ihrer Klarsicht zugrunde geht und dem Therapeuten bis zum Schluss unergründlich bleibt. Sie hatte schon früh Erfolg als Werbetexterin und dann als Referentin einer Ministerin. Eines Tages tritt sie bei einer Bundespressekonferenz ans Mikro und sagt immer wieder nur ein Wort: „angemessen“. Sie hatte das Gefasel der Ministerin von „einfach nicht angemessener Gewalt“ gegen „unschuldige Menschen“ nicht mehr ertragen, weil es sie daran erinnerte, dass Goebbels 1940 von „und werden angemessen untergebracht“ gesprochen hatte.

Nach über zwanzig Jahren am Deutschen Theater nimmt Jörg Gudzuhn mit diesem Monolog unter der Regie von Piet Drescher vom Haus Abschied – unter der Leitung von Ulrich Khuon war er nur noch spärlich besetzt worden. Nicht nur Therapiesitzungen haben also ihren Subtext. Der Abend ist ein kleiner Triumph, gerade weil Gudzuhn alles andere als triumphierend aufspielt. Zurückgenommenheit prägt sein Spiel. Mit breitem Strich zeichnet er Grebenhoeves Grandiositätsfantasien nach, um im nächsten Moment die feinsten Nuancen seines Selbstzweifels auszuschraffieren und sich stockend Eingeständnisse abzuringen, steigert sich dann wieder laut in Beschimpfungsorgien hinein, die nichts Ranschmeißerisches haben, sondern innerlich bleiben. Und die Pointen sind kein Selbstzweck, sondern bittere Zuspitzungen der Verzweiflung.

Wieder am 18. und 27. 1. sowie am 27. 2.

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