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Das reale Vorbild des Boyle-Romans, die „Biosphäre 2“ in Arizona.

© Mauritius

"Terranauten" von T. C. Boyle: Geht viel rein, kommt nichts raus

Wissenschaft und Soap: T. C. Boyle erzählt in „Die Terranauten“ von einem Öko-Experiment mit vier Frauen und vier Männern.

Es gibt auf der Internetseite des deutschen Verlags von T. C. Boyle ein kurzes Youtube-Filmchen, in dem der amerikanische Schriftsteller vor einem riesigen Farngewächs sitzend seinen neuen Roman vorstellt. Wie unglaublich sexy es plötzlich für ihn gewesen sei, erzählt Boyle, vier Männer und vier Frauen zwei Jahre in einen geschlossenen Raum zu stecken – und nichts geht rein, nichts kommt raus. Mehr habe er nicht gemacht, fügt er an und schüttelt dann ein Glas mit ein paar Playmobil-Figuren drin.

„Die Terranauten“ heißt dieser inzwischen sechzehnte Roman von T.C. Boyle, und eigentlich hat er dazu in dieser Ankündigung alles Wesentliche gesagt: der Sex, die Geschlechter, das zwischenmenschliche Durcheinander. Nur soll „Die Terranauten“ doch etwas mehr sein, so scheint es zumindest in Anbetracht des von Boyle gewählten Settings. Der Roman basiert auf einem Anfang der neunziger Jahre in Tucson, Arizona von Wissenschaftlern durchgeführten und von dem texanischen Milliardär Edward Bass finanzierten Projekt namens „Biosphäre 2“. In Abgrenzung zur Erde, der „Biosphäre 1“, ging es darum, ein geschlossenes, möglichst von der Außenwelt unabhängiges, sich selbst erhaltendes ökologisches System zu schaffen.

Vier Männer und vier Frauen lebten zwei Jahre lang in einem riesigen, von außen luftdicht abgeriegelten Gewächshaus, zusammen mit knapp 4000 Pflanzen- und Tierarten, um dabei unter anderem Kenntnisse für ein womöglich eigenständiges Leben auf dem Mars zu bekommen. So wie es in Boyles Roman eine der drei Hauptfiguren sagt, Ramsay Roothoorp, Kommunikationsoffizier und Leiter des Bereichs Wassermanagement: „Auf der Erde wurden die Ressourcen knapp, die globale Erwärmung wurde nach und nach als wissenschaftlich gesicherte Tatsache und nicht mehr als Science- Fiction-Spinnerei betrachtet, und wenn der Mensch ins Geschehen eingreifen wollte, anstatt bloß einer von vielen dem Untergang geweihten Organismen auf einem dem Untergang geweihten Planeten zu sein, wenn die Technosphäre die rein biologischen Prozesse ersetzen sollte, würden wir früher oder später wohl anfangen müssen, das Leben auf andere Planeten zu tragen – und zwar erst einmal auf den Mars.“

T. C. Boyle
T. C. Boyle

© dpa

Boyles Roman setzt ein, als die zweite Crew, Mission 2 genannt, gerade ausgewählt worden ist und sich darauf vorbereitet, begleitet von großem medialen Rummel durch eine Luftschleuse die „Ecosphere 2“ (E2) zu betreten und sich einschließen zu lassen. Das Ziel: keinesfalls vor Ablauf der zwei Jahre nur ein einziges Mal und sei es für ein paar Sekunden herauszukommen. Das hatte die Vorgänger-Crew getan, die schon nach zwölf Tagen eins der Mitglieder wegen eines Unfalls draußen behandeln lassen musste – wie es sich im realen Biosphäre2-Versuch zutrug.

Neben Ramsay Roothoorp lässt Boyle im steten Wechsel dessen als Nutztierwärterin amtierende Kollegin Dawn Chapman aus der Ich-Perspektive von ihren Erfahrungen erzählen sowie deren Freundin Linda Ryu. Sie wurde nicht für die Mission-2-Crew ausgewählt, arbeitet aber weiterhin bei der Firma Mission Control und hofft auf einen Einsatz bei Mission 3. Ryu nimmt die Außenperspektive ein, sie ist durch ihre vorläufige Nichtberücksichtigung die ehrgeizigste, verbissenste, neiderfüllteste, viel Zwietracht säende der drei Ich-Erzählenden.

T. C. Boyle treibt sich nicht nur gern in den Subkulturen und Randzonen der US-Gesellschaft herum, sondern befasst sich auch auch gern mit Umweltstoffen. Man denke nur an seinen Sci-Fi-Roman „Der Freund der Erde“, der von einer Zeit nach der Klimakatastrophe erzählt, an seinen Ökothriller „Wenn das Schlachten vorbei ist“ oder den Inselroman „San Miguel“. Die Geschichte von „Biosphäre 2“ ist also geradezu maßgeschneidert für ihn, und wissenschaftlich korrekt erzählt Boyle nach, was es bei diesem Projekt an Problemen gegeben hat: von der einseitigen Ernährung über die blinden tierischen Passagiere (Skorpione, Kakerlaken, Spatzen) bis hin zu einem Stromausfall und der schwierigen Sauerstoff- und Kohlendioxidregulierung. Boyles „Terranauten“ trägt bei dieser Nachbildung Züge eines historischen Romans, zumal es dem 1948 geborenen Autor, wie seine Glasschüttelei in dem Video-Romanteaser zeigt, hauptsächlich um die Gruppendynamik geht. Um jene mit dauerhafter medialer Begleitung, kurzum: die Big-Brother-Aspekte der achtköpfigen Mission in „E2“. Auch die Helfershelfer draußen spielen da eine wesentliche Rolle, neben Linda Ryu sind das Johnny, der Freund von Dawn Chapman, und die vierköpfige Führungsriege von Mission Control. Als da wären: der Boss, der hier meist Gottvater heißt, kurz: GV, seine Assistentin Judy, der Mäzen, der nur GM gekürzelt wird, und ein weiterer Assistent.

Das Glas- und Treibhaus wird mehr und mehr zur Kulisse

Das reale Vorbild des Boyle-Romans, die „Biosphäre 2“ in Arizona.
Das reale Vorbild des Boyle-Romans, die „Biosphäre 2“ in Arizona.

© Mauritius

Judy hat eine Sexaffäre mit Ramsay, Linda schläft mit Johnny. Und wer wird sich wohl von den acht Terranauten im Glashaus paaren (wobei seltsamerweise die Möglichkeiten homosexueller Beziehungen nicht einmal angedeutet werden)? Die Stevie also mit dem Troy, der Ramsay mit der Gretchen, wie sich zeigt, und irgendwann, da bekommt der routiniert und sehr in die Breite erzählte Roman seinen Hauptplot, lassen sich Ramsay und Dawn aufeinander ein, nein, fallen gleich beim ersten Mal derart unvorsichtig übereinander her, dass Dawn schwanger wird und das „Ecosphere“- Projekt auf der Kippe steht.

Nur: Wer interessiert sich jetzt überhaupt noch dafür? Die drei Helden, die anderen sechs Terranauten? Die Leser und Leserinnen? Boyle? Das Glas- und Treibhaus mit seinen fünf Klimazonen wird mehr und mehr zur Kulisse, vor der Ramsay, Dawn und von außen Linda versuchen, mit der neuen Situation umzugehen und die damit einhergehenden Probleme zu diskutieren, bis hin zu offenen Streitereien ums Essen und dem Auseinanderfallen der Gruppe.

Boyles Figuren bleiben eindimensional, bekommen kaum Tiefe oder machen eine nachvollziehbare psychologische Entwicklung durch. Sie haben sich der Sache verschrieben, fühlen sich auserwählt, das treibt sie an – und hin und wieder, immerhin, durchzuckt sie ein Zweifel: Ob das Ganze nicht etwas Sektenhaftes hat? Sollen sie ihr ganzes Leben dieser Mission widmen? Werden sie nicht selbst wie Tiere im Zoo präsentiert? Stets müssen sie eine gute Figur machen, auch wegen des Kommerzes. Doch würden sie nicht lieber den Schaulustigen draußen einmal den Stinkefinger zeigen, so wie Ramsay wenigstens einmal?

Erzählerisches Potential haben solche Gedanken, doch Boyle will sie damit nicht länger beschweren. Er schlenkert lieber hier noch ein paar Theaterstücke rein, die die Terranauten proben sollen (Sartres „Geschlossene Gesellschaft“ zum Beispiel), und pinselt dort eine Terranauten-Hochzeitszeremonie aus. Ja, eine religiös-paradiesische Komponente deutet er an, doch das bloß Komische-Unterhaltende ist ihm um einiges wichtiger.

So ist „Die Terranauten“ ein bisschen „Truman Show“, ein bisschen „The Circle“, wie Dave Eggers’ gar nicht mal guter, aber ungleich konsequenterer Roman über diktatorische, hermetische und gläserne Google-und-Facebook-Welt heißt – und ein bisschen viel Soap. Diese treibt Boyle mit der ungeplanten Schwangerschaft und den unvermeidlichen Turbulenzen und Volten manierlich voran. Was tut Dawn? Abtreiben? Das Kind austragen? Mein Körper gehört mir, nicht der Mission Control? Wie verhält sich der Vater? Wie Gottvater und die Medien? Am Ende, das ist die dürre Erkenntnis dieses langatmig-verschwatzten Romans, steht sich noch der utopischste Mensch immer selbst im Weg. Und: Ein Leben nach der Reality-TV-Show will auch erstmal geführt werden.

T. C. Boyle: Die Terranauten. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Dirk van Gunsteren. Hanser Verlag, München 2017. 606 Seiten, 26 €.

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