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Immer dort, wo die Action ist. Mark Wahlberg spielt einen Polizisten, der nach den Detonationen zum Helden wird.

© Studiocanal

Im Kino: "Boston": Terrortherapie mit Thriller

Hollywood und die Wunden Amerikas: Der Thriller „Boston“ rekonstruiert das Attentat auf den dortigen Marathon. Mit eindeutiger Botschaft: Schmerz schweißt Menschen zusammen.

Von Andreas Busche

Eine neue Zeitrechnung ist angebrochen. Das öffentliche Leben in westlichen Metropolen wird künftig härteren Restriktionen unterliegen. Der Preis für unsere Sicherheit ist die Freiheit. Solche apodiktischen Bedrohungsszenarien, in denen eine lustvolle Endzeitstimmung mitschwingt, sind auch in Deutschland vermehrt zu hören. Der Tonfall hat seit den Anschlägen von Paris, Brüssel und Berlin an Schärfe gewonnen. Und mit jedem Attentat fällt der Widerspruch gegen die Forderungen nach drastischeren Maßnahmen verhaltener aus, auch wenn der Terror weiter die Verfechter eines freiheitlich-demokratischen Lebenswandels mobilisiert. Die Gegenposition: Der Westen darf seine Grundwerte nicht einem radikalen Fundamentalismus opfern.

Amokläufe führten zu Abstumpfung

Die USA entwickelten in den vergangenen fünfzehn Jahren eine gewisse Routine im Umgang mit dem Terror. Die Zunahme von Anschlägen, Amokläufen und Fällen von Polizeigewalt hat zu einer schleichenden Abstumpfung geführt. Der Präzedenzfall war 9/11. Die über 3000 Opfer der Anschläge auf das World Trade Center wurden damals zu Nationalhelden erklärt. Die amerikanische Filmindustrie übernimmt seit einigen Jahren eine Schlüsselfunktion in dieser nationalen Selbsttherapierung. Konsequent bezieht sich dieses neue Traumakino auf reale Ereignisse und Personen, sie gewährleisten ein Höchstmaß an Identifikation. Peter Bergs Thriller „Boston“ ist das jüngste Beispiel von Filmen aus Hollywood, an denen sich die Mechanismen dieser Bewältigungsarbeit erklären lassen.

„Boston“ rekonstruiert das Bombenattentat auf den Boston Marathon vom 15. April 2013 als Thriller: Multiperspektivisch erzählt der Film aus Sicht der Täter, der Opfer sowie der ermittelnden Behörden Boston Police und FBI. Im Mittelpunkt stehen die Täter, die tschetschenischen Brüder Dzhokhar und Tamerlan Tsarnaev (Alex Wolff, Themo Melikidze), und der Polizei-Veteran Tommy Saunders (Mark Wahlberg). Um sie gruppiert sich ein gutes Dutzend Nebenfiguren, die im Verlauf der fünftägigen Jagd kurz in den Vordergrund treten dürfen. Wahlbergs Figur ist der einzige fiktive Protagonist des Films – eine Art Heldenchimäre, die sich entgegen jeder dramaturgischen Logik in den entscheidenden Momenten am Ort der Action befindet.

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In der offiziellen Post-9/11-Geschichtsschreibung kommt dem Anschlag von Boston eine besondere Bedeutung zu: Er war der größte Terrorakt auf amerikanischem Boden seit dem 11. September 2001, die Täter wählten zudem den Patriots’ Day, den Jahrestag des Unabhängigkeitskrieges. „Patriots’ Day“ heißt Bergs Film im Original, womit bereits eine Programmatik beschrieben ist. Aufklärung und Aufarbeitung werden zum nationalen Projekt erklärt, zu dem Polizei, Helfer, Tote und Überlebende beitragen.

Menschen als Schicksalsgemeinschaft

Rhetorisch stimmt „Boston“ gleich in den ersten Szenen auf diese Idee einer unsichtbaren Schicksalsgemeinschaft ein: Zu sehen sind Familien beim Abendessen, Eheleute im Schlafzimmer, Väter mit ihren Kindern. Sie alle stehen später an der Zielgeraden des Marathons, an der die Bomben hochgehen. Die Explosionen fügen die Einzelschicksale zu einem Erzählbogen zusammen, den die Parallelmontage zu Beginn bereits vorwegnimmt.

Die Mittel, der sich Bergs Inszenierung zur Beschreibung einer Kollektiverfahrung bedient, sind dabei deutlich interessanter als der konventionelle Thriller-Plot. Es ist ein Monolog Wahlbergs, der die zentrale Botschaft des Films auf den Punkt bringt. Es sei der Schmerz über einen Verlust und die Liebe, die die Menschen angesichts einer äußeren Bedrohung zusammenschweißen. Dieses krude Pathos verbindet „Boston“ mit anderen Filmen des jüngeren US-Traumakinos, mit Clint Eastwoods Pilotendrama „Sully“ oder dem Bohrinsel-Katastrophenfilm „Deepwater Horizon“, ebenfalls von Peter Berg. Immer geht es um eine Einschwörung auf die Gruppe, das trostspendende Kollektiv.

Schon nach 9/11 hatte man in Hollywood vergeblich versucht, mit staatstragenden Heldenerzählungen wie Oliver Stones „World Trade Center“ oder Paul Greengrass’ „United 93“ die traumatische Erfahrung zu exorzieren. Doch das Kino konnte der Zerstörung nichts Gleichwertiges entgegensetzen, weil schon die Inszenierung der einstürzenden Türme ikonische Bilder des Katastrophenfilms abrief.

Die erste Vorführung für die Berliner Presse fand am Morgen des 20. Dezember in einem Ku’damm-Kino statt. Am Abend zuvor war nur wenige hundert Meter entfernt der Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz verübt worden. In den Morgenstunden danach wirkte der Platz gespenstisch ruhig. Der Schock saß der Stadt in den Knochen, auch der Kinosaal war fast leer.

Sich unter diesen realen Eindrücken einen Actionfilm anzusehen, der als Traumatherapie gedacht war, mutete surreal an. Das agitatorische Pathos von „Boston“ erzeugte dann auch den gegenteiligen Effekt, das frivole Gefühl von Abstumpfung. Vielleicht war es auch nur ein Abwehrreflex, als noch nicht abzusehen war, mit welcher Besonnenheit die Berliner auf den Anschlag reagieren würden. Dem Impuls zu widerstehen, das eigene Gefühl der Leere, die Suche nach Antworten, mit konfektionierten Durchhalteparolen zu füllen, fiel nicht schwer.

In Berlin scheitert die Bewältigungsstrategie

Schwer zu sagen, wie die Menschen in Boston auf Bergs Film reagieren. In Berlin trägt die Bewältigungsarbeit im Stil des Hollywoodkinos keine Früchte – was daran liegen mag, dass den Deutschen der Hurra-Patriotismus der Amerikaner fremd ist. Das Affektkino Hollywoods zielt schon aus marktlogischer Notwendigkeit auf den kleinsten gemeinsamen Nenner. Doch die eigenen Gefühle sind zu diffizil, um sich von der Emphase des Jetzt-erst-recht oder eines – wie es der chinesische Student im Film ausdrückt, dessen nagelneuen SUV die Attentäter klauen – Go catch those motherfuckers! vereinnahmen zu lassen. In dieser genuin amerikanischen Trauer schwingt immer eine unterschwellige Aggression mit.

So bereitet der Thriller-Plot von „Boston“ fast beiläufig einem anderen Diskurs den Boden, der immer wieder als alternativlose Konsequenz auf den Terror ins Spiel gebracht wird: die öffentliche Sicherheit. Es ist eine perfide Doppelstrategie. Die Identifizierung der Täter durch IT-Experten des FBI, das in einer Lagerhalle den Tatort nachbaut, zeigt „Boston“ minutiös als Hightech-Whodunit. Kameraaufzeichnungen von Geschäften und öffentlichen Plätzen kartografieren den Aktionsradius der Täter als fragmentarisches Bilderpuzzle. Mit ihrer Hilfe wird der jüngere Bruder innerhalb von Minuten entdeckt, die elektronischen Augen der Überwachungskameras rekonstruieren jeden seiner Schritte im öffentlichen Raum. Diese Allmachtsfantasien des Hightech-Kinos sind ideologische Fortschreibungen der gegenwärtigen Allianz aus Unterhaltungsindustrie und Militär.

Reale Personen im Abspann

Eingeflößt wird diese Botschaft mit einem human touch. Bilder und Aufnahmen der echten Personen im Filmabspann gehören mittlerweile zum guten Ton dieses Traumakinos. „Boston“ geht noch einen Schritt weiter. In der US-Version gehören die letzten zehn Minuten wieder den Überlebenden, die sich in einer endlosen Interview-Sequenz an den Anschlag erinnern und dabei den amerikanischen Geist beschwören. Diese schamlosen Dokudrama-Elemente, die als Beglaubigung von Authentizität fungieren sollen, verfehlen außerhalb der USA allerdings ihre Wirkung.

Bei der zweiten Berliner Pressevorführung waren die Interviews aus der Version für den deutschen Markt verschwunden. Die Idee eines kollektiven Traumas ist ein Phantasma, genauso wenig gibt es ein Allheilmittel gegen den individuellen Schmerz. Wenn „Boston“ eins belegt, dann, dass die vermeintlichen Patentrezepte aus Hollywood ihre Haltbarkeit überschritten haben.

„Boston“ startet am Donnerstag in den deutschen Kinos.

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