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Micky und Dicky. Mark Wahlberg als Boxer, Christian Bale als sein Trainer.

© dpa

"The Fighter" von David O. Russell: Einer boxt sich durch

Unterschicht und Oberfläche: David O. Russells oscarprämiertes Boxer-Drama „The Fighter“ ist ein konventionell-packendes Boxerdrama zum Genießen.

Der Beruf des Schauspielers verspricht Unernst, Schein und Illusion. Schauspieler verstehen sich zudem oft als bloße Medien ihrer Regisseure – und tragen doch viel Verantwortung. Wenn etwa Christian Bale in die Rolle des Ex-Boxers Dicky Eklund schlüpft, dann verkörpert er nicht nur ein Individuum mit all seinen Macken. Er repräsentiert auch, wofür Eklund typenhaft steht: die weiße Unterschicht der USA. Wenn nun ein Film wie David O. Russells „The Fighter“ seine Figuren vor allem über ihre soziale Herkunft charakterisiert, dann können übertriebene Intonationen, übersteigerte Gesichtsausdrücke, überzogene Gesten geradezu diffamierend wirken. Der Schauspieler nimmt dann die soziale Schicht, die er verzerrend darstellt, in eine Art stereotypisierende Sippenhaft.

Dabei steht Dicky Eklund, dargestellt von Christian Bale, zunächst nicht einmal im Mittelpunkt der Handlung. Sondern es geht um die wahre Geschichte von Dickys Halbbruder „Irish“ Micky Ward (Mark Wahlberg), der sich Anfang der neunziger Jahre in Lowell, Massachusetts als Straßenarbeiter über Wasser hält und nebenbei boxend durchs Leben schlägt. In schlecht bezahlten, von seiner Mutter Alice (Melissa Leo) lausig organisierten Kämpfen, verheizt er sein Talent. Sein Halbbruder und Trainer Dicky, der Sprüche klopfend die eigene Boxvergangenheit glorifiziert, hängt tagsüber in Crack-Höhlen herum.

Für Micky wäre es dringend Zeit für einen lucky punch. Doch als sein Bruder nach einer Prügelei mit der Polizei hinter Gittern landet und er selber die Barkeeperin Charlene (Amy Adams) kennenlernt, bricht er mit der Familie – vorläufig, versteht sich; wir sind schließlich in einem Hollywood-Film. Und nun geht’s denn doch sportlich bergauf, der Underdog fletscht die Zähne und beißt sich durch. Am Ende, so viel sei verraten, kommt es zu einer Wendung, die J. R. R. Tolkien einmal als „Eukatastrophe“ bezeichnet hat: die plötzliche Fügung einer Geschichte, die einen so glückhaft durchtränkt, dass einem Tränen in die Augen schießen.

Auch wenn die Box-Szenen etwa in „Raging Bull“ oder „Ali“ schon fesselnder inszeniert waren: Man kann dieses konventionell-packende Familien-Boxer-Drama im „Rocky“-Stil durchaus genießen. David O. Russell („Three Kings“) und seine Set-Dekorateure entfalten gekonnt das Neuengland-Arbeiterklassen-Milieu der neunziger Jahre mitsamt seinem irisch-gefärbten Akzent und dem derben Witz. Aber ein schaler Nachgeschmack bleibt. Und der liegt an Christian Bale.

Dem Schauspiel-Berserker Bale gehen immer wieder – mal augenrollend, mal wild gestikulierend – die Zügel durch. Wie schon in „The Machinist“ oder Werner Herzogs „Rescue Dawn“ ist er extrem heruntergehungert. Das ausgemergelte Gesicht und die tiefsitzenden Augen verleihen ihm gespenstische Züge. Leider führt sein Overacting dazu, dass die Figur des Dicky zur Karikatur einer ganzen sozialen Schicht verkommt. Ganz anders Mark Wahlberg: Mit seinem ruhigen Spiel lässt er dem, was man so leichthin white trash nennt, seine Würde.

Auch Melissa Leo gibt mit blondierter Haarspray-Frisur stets die wilde Micky-Dicky-Mutter: ein krakeelendes Boxer-Luder, das perfekt ins Nachmittagsfernsehen passen würde. Dass Bale und Leo für ihre Rollen Nebendarsteller-Oscars eingefahren haben, verrät einiges über die Academy – und wenig über die tatsächliche schauspielerische Leistung.

Was, wenn die beiden Akteure der Versuchung zum verunglimpfenden Stereotyp widerstanden hätten? Sie hätten, großes Wort, eine Ethik des Schauspiels bewiesen.

In 13 Berliner Kinos; OV im Cinestar, sonst SonyCenter; OmU im Babylon Kreuzberg und in der Kulturbrauerei

Julian Hanich

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