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Kultur: "The five senses": Wie kommen wir zur Welt und sie zu uns?

Solange wir da sind, ist der Tod nicht da. Wenn er kommt, sind wir schon fort.

Solange wir da sind, ist der Tod nicht da. Wenn er kommt, sind wir schon fort. Wir begegnen uns also nie, der Tod und wir. Sterben ist nur eine Frage der Logik. Denken die Denker.

Und Leben? Können wir denken, dass wir leben? Kann man Gerüche, Empfindungen oder Töne denken? Wir werden, was wir sind, mit ihnen, durch sie hindurch. Geruchswelten, Empfindungswelten, Tonwelten entstehen. Es ist nicht gut vorstellbar, dass diese Weltverbindungen einmal durchtrennt werden sollen. Alle auf einmal. Oder gibt es davor schon die kleinen Tode? Wer aufhört zu hören, verliert eine Welt. Und wenn, egal was wir berühren, die Welt sich nicht mehr fühlen läßt, existiert sie dann überhaupt noch? Vor allem aber: Fängt so eine Filmkritik an?

Höchstens, wenn ein Film solch eigentümliche Hauptdarsteller hat wie der des jungen kanadischen Regisseurs Jeremy Podeswa ("Eclipse"). Eben die fünf Sinne: "The Five Senses". Und so einen seltsam elegischen Grundton. Einen sehr überindividuellen, einen von Ewigkeit und Vergeblichkeit zugleich. Das liegt vielleicht daran, dass wir - also diese seltsamen Verstiegenheiten, die man Individuen nennt - den fünf Sinnen im Grunde sehr egal sind. Die Natur hat uns nicht gemeint, wir sind ihre Fallbeispiele. Fallbeispiele haben den Vorteil der Anschaulichkeit, eine im Kino gar nicht hoch genug einzuschätzende Eigenschaft. Also hat sich Jeremy Podeswa ein paar Sinnes-Träger gesucht, an denen er nun untersucht, wie wir zur Welt kommen und die Welt zu uns. Menschen mit geringerer kinematografischer Begabung wäre bei dem Stichwort "Mann, der sein Gehör verliert" sicherlich Beethoven eingefallen. Jeremy Podeswa nicht. Er nimmt einen Augenarzt dafür. Und wem will er den Geruchssinn anvertrauen? Gerüche kann man nicht beschreiben, man kann sie nicht einmal distanzieren. Noch der größte Sinnenverächter ist ihnen einfach ausgeliefert. Und zugleich dringt nichts so tief in uns ein, vermag nichts so zu rühren wie ein Geruch. Ein hochdramatischer, pathetischer Sinn also. Podeswa macht das einzig Richtige. Er vertraut ihn einem Raumpfleger an. Und da Raumpflegen eine durchaus meditative Tätigkeit ist, kann Robert, der Raumpfleger, dabei etwas suchen, wozu andere einfach nicht die Zeit haben. Robert sucht den Geruch der Liebe.

Robert hat auch eine beste Freundin. Sie ist Torten-Designerin. Wahrscheinlich ein typisch amerikanischer Beruf. Ronas Torten haben keinen Geschmack, sie sehen aber hervorragend aus. Rona und ihre Torten sind für eine sehr wichtige Gefühlsdialektik zuständig. Für die Abstumpfung. Für das Anästhetische, das Empfindungslose - entweder durch Gleichgültigkeit oder durch das Zuviel. Natürlich wäre es verantwortungslos von Jeremy Podeswa, Rona in diesem Lebensirrtum über das Wesen der Torten zu belassen. Weshalb sie im Urlaub einen italienischen Koch kennenlernt, dessen Welt nur aus einer einzigen Dimension besteht. Aus Geschmack! An Ronas italienischem Koch lernen wir, was passiert, wenn ein Sinn beginnt, unser Leben zu dominieren. Wenn alles, was wir tun, plötzlich pastaförmig wird. Pastaförmig denken. Pastaförmig lieben.

Die Kritikerin ist darauf gefasst, dass man gegen "The Five Senses" bereits an dieser Stelle einen nicht unerheblichen Argwohn hegen kann. Torten, Raumpfleger und musikliebende, ertaubende Augenärzte - ergibt das denn überhaupt eine richtige Handlung? Und dabei haben wir von der Masseurin, die nach dem Tod ihres Mannes nichts mehr wirklich berühren kann - nicht Dinge, nicht Menschen - , noch gar nicht gesprochen. Auch nicht von Rachel, dem Mädchen, das sich ans Sehen verliert. Ja, auch das Auge hat seine eigene Leidenschaft. Den Voyeurismus. Voyeuristen sind Menschen, die immer auf etwas anderes aufpassen als sie sollen. Rachel also passt gerade auf das Liebespaar im Park auf statt auf ein kleines Mädchen. Da ist das kleine Mädchen weg, und so stiftet Rachels Voyeurismus zugleich das, was den Film zusammenhält. Keine wirkliche Handlung, aber immerhin ist so ein verschwundenes Mädchen ein Band, an das andere Bänder sich knüpfen lassen. Schicksalhaft oder mal lockerer, mal fester wie im Leben selbst. Short-Cuts-Prinzip. Wahrscheinlich findet Podeswa "Handlungen" ohnehin eher oberflächlich. Die eigentliche Frage sei doch, welche Sinnesbegabungen und Sinnesleidenschaften uns zu anderen ziehen oder von ihnen fort. Kommunikation? Die eigentliche hat immer schon stattgefunden, wenn wir zu reden beginnen.

Es gibt große Filme über Einzelsinne. Über das Sehen. Oder über das Fühlen. Aber "Five Senses" ist der bisher schönste über alle fünf zusammen.

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