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Temporäres Zimmer des „Hotel Shabby Shabby“-Projektes.

© FOR’REST_Interior

Theater der Welt: Mit Shabby Shabby gegen die Welt

Von Spektakel bis Stadtführung: Zum Start des Festivals Theater der Welt in Mannheim.

Es beginnt mit einem Mord, der für alle Morde stehen kann, in Kriegen, die für zu viele Menschen Alltag sind. Ein Demonstrant in Syrien fotografiert seinen Mörder, der die Waffe auf ihn anlegt, bis im Moment des Todes das Bild unscharf wird, verschwindet. Von beiden Seiten geschossen. „Double Shooting“, die Foto-Installation des Beiruter Künstlers Rabi Mroué ist ein erschütterndes Reenactment.

Es beginnt politisch beim Theater der Welt in Mannheim und es geht politisch weiter. Der Internetaktivist Jacob Applebaum hält die Eröffnungsrede, die NSA ist auch hier gegenwärtig, zum Glück nur in der Kritik, aber – weiß man es? Die Verunsicherung, das Nichtwissen, könnte das Thema sein dieser Eröffnung vom Theater der Welt in Mannheim. Und die kreative Umwandlung von Unwissen in Kunst, sowie die Verwandlung dieser nüchtern quadratisch konstruierten Industriestadt Mannheim in einen Ort der Kreativität. Mit Künstlern aus Beirut, Tokio, Moskau, aus Johannesburg, Madrid, Santiago de Chile, eben aus aller Welt.

Hat Theater einen hohen politischen Anspruch, stellt sich immer die Frage: Geht die Wirkung über das Theater hinaus, bleiben Schock, die Bemühungen um Aufklärung, Anklage nicht aufs Theater beschränkt. Beißt sich die politisch korrekte Theaterkatze nicht in den eigenen, selbstzufrieden eingerollten Schwanz? Besonders deutlich ist dieses Problem bei der Uraufführung von Elfriede Jelineks „Die Schutzbefohlenen“, in der Regie des Jelinek-erfahrenen Nicolas Stemann. Viel besser kann es keiner als diese beiden, und trotzdem bleibt die Aufführung über Flüchtlinge aus Pakistan und Afrika seltsam blass und distanziert. Trotz der authentischen Flüchtlinge auf der Bühne. Trotz der fabelhaften Schauspieler vom Hamburger Thalia-Theater. Am eindrucksvollsten sind die Bilder. Das Bühnenbild, als der Drahtzaun sich vor den hinten aufgereiht sitzenden Flüchtlingen senkt, der tödliche Zaun, der die Afrikaner von Europa fernhalten soll.

Das Video von den kleinen Särgen für die auf der Flucht im Mittelmeer ertrunkenen Kinder. Mit je einem Teddy pro Sarg, dazu der zynische Bärli-Song der Jelinek.

Eine Inszenierung mit allen Mitteln, künstlerisch wertvoll, bei der wirklich unter die Haut immerhin zwei provozierte Fragen gingen: Was würde ich tun, wenn mich ein Eingewanderter von meinem Platz verdrängt? Und: Würde ich einem Flüchtling Obdach geben?

Matthias Lilienthal erprobte sein Konzept von der Öffnung des Theaters im Berliner HAU mit inszenierten Begehungen von Wohnungen und Stadträumen. Was er in Beirut weiterführte, hat er jetzt als künstlerischer Leiter des Festivals auf Mannheim übertragen: eine großartige, die Stadt ausleuchtende wie poetisierende Erkundung. Mit der Tour „X-Firmen“ durch das industrielle Mannheim. Mit „Hotel Shabby Shabby“ in alle Ecken der Stadt: Einzelne Räume in die Stadt gepflanzt, auf Häusern, Schiffen, um das Schillerdenkmal, in einen Bauzaun. Hotelräume, in denen jeder gegen geringes Entgelt übernachten kann. Gebaut aus Fundstücken und wiederverwertbarem Material von Studierenden.

Das regt an und auf, das setzt den Unwirtlichkeiten unserer Städte Fantasie, ja, Hoffnung entgegen. Auf dem Deck eines Parkhauses erbaute eine Gruppe von Holzdesignern aus Schneeberg eine mehrzackige Skulptur: „Feuer und Flamme“. Holzstäbe, verbunden und abgedichtet mit Feuerwehrschläuchen, die es so rot nur noch in Sachsen gibt. Ein Mikado-Zelt, ein feuriger Stern, innen ein erstaunlich geräumiges Bett mit Blick auf den Sonnenuntergang über Mannheim. Oder ist es New York? Der Traum von einer Stadt, erlebbar. So müsste Theater sein, leider können wir Zuschauer nicht auf der Bühne wohnen, aber begreifen, mitleiden schon.

Dimitry Krymov hat ein opulentes Spektakel geschaffen

Temporäres Zimmer des „Hotel Shabby Shabby“-Projektes.
Temporäres Zimmer des „Hotel Shabby Shabby“-Projektes.

© FOR’REST_Interior

Rabih Mroué aus Beirut schuf ein Stück, mit und über seinen Bruder Yasser Mroué: „Riding on a cloud“. Yasser sitzt am Tisch und legt wie einst bei Beckett Tapes auf, diesmal als Video. Gezeigt wird sein Leben. Mal redet er selbst, mal kommt die Stimme vom Band. Die Videos hat er selbst gemacht, der Bruder hat sie ausgesucht, zusammengestellt. Wer bin ich, wer ist das Ich auf der Bühne, was ist die richtige Geschichte, meine oder die auf der Bühne? Yassers Geschichte hat es in sich. Im libanesischen Bürgerkrieg schoss ein Heckenschütze auf ihn und verletzte sein Gehirn. Er war 17. Seitdem ist seine rechter Arm unbeweglich, kann er auf Abbildungen nichts mehr erkennen. Als Training drehte er in 20 Jahren tausend kurze Videos. Ergreifend, wenn die Brüder zum Schluss zusammen Gitarre spielen, der Regieführende seinem Darsteller die rechte Hand leiht. Ein kostbarer Moment, „Sein und Nichtsein“, Theater und Wirklichkeit sind vereint.

Theater, das vor allem Theater sein will, ist „Tararabumbia“ von Regisseur, Bühnenbildner und Maler Dimitry Krymov. Auf endlos langem Fließband zwischen zwei Zuschauertribühnen läuft eine sagenhafte Revue mit über 100 Darstellern. Szenen, Bilder zu Sätzen von Tschechow, aus der „Möwe“, den „Drei Schwestern“, „Kirschgarten“. Figuren und Bilder, die auf dem Laufsteg auch russische Geschichte abspulen, so vielgestaltig, so rasant, dass einem der Atem stockt. Auf hohen Stelzen, mit Breakdance, Mozart-Koloratur, in massenhafter Vervielfältigung etwa des Trigorin. Ein Spektakel, das jeden Rahmen sprengt, mittels Opulenz und Disziplin. Danach: Standing Ovations. Auch aus Erleichterung, ein Russland zu sehen jenseits von Putin und Genossen.

Reduziert dagegen die japanische Uraufführung von „Super Premium Soft Double Vanilla Rich“, von Autor und Regisseur Toshiki Okada und seiner Theatercompany Chelfitsch. In einem der typischen japanischen 24-Stunden-Supermärkte begegnen sich zwei Angestellte, der Filialleiter, der Supervisor, eine Kundin und ein Nicht-Kunde. Sie machen sinnlose Bewegungen zu ihren Sätzen, durchaus ungeschickt, gelegentlich sehr komisch. Der Erkenntniswert bleibt relativ gering: Die Sinnlosigkeit eines Supermarktes, einer Warenwelt. Selten hat das Wohltemperierte Klavier von Bach als ständige Begleitmusik so genervt.

Stellenweise wird es intensiv, nämlich wenn Emotionen köcheln. Wenn die Kundin, die jeden Abend ein Super-Soft-Vanilla-Eis kauft, ihren Lebensmittelpunkt verliert, weil die Produktion eingestellt wird. Als die anteilnehmende Aushilfe ihr das verbesserte Nachfolgeprodukt präsentiert, das titelgebende „Super Premium Soft Double Vanilla Rich“, weist sie es empört zurück: Sie vermisst den Geschmack von Chemie. Das ist hübsch absurd auf den Punkt gebracht. Doch trotz der unaufhörlichen Bewegungen der exzellenten Schauspieler bleibt das Ganze etwas eintönig, vermutlich ist es einfach zu lang.

Der zweitägige Auftakt ist mehr als gelungen mit Aufführungen und Installationen, die vorführen, wo Kunst heute steht, was Künstler mit unserer Wirklichkeit machen können. Und was nicht.

Theater der Welt, bis 8. Juni in Mannheim, Info: www.theaterderwelt.de

Ulrike Kahle-Steinweh

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