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Kultur: Theater in Berlin: Aber langweilig sind wir doch alle

Der Vorhang gleißt in rotem Licht. Eine Hand teilt, während die Musik aufrauscht, den Spalt in der Mitte, macht die Bahn frei für den Auftritt der Chansonette, einer Blondine, deren schlanke Figur in knapper grüner Seide steckt.

Der Vorhang gleißt in rotem Licht. Eine Hand teilt, während die Musik aufrauscht, den Spalt in der Mitte, macht die Bahn frei für den Auftritt der Chansonette, einer Blondine, deren schlanke Figur in knapper grüner Seide steckt. Zu säuselndem Saxophon, pochendem Bass singt sie, ihr Mikro fest im Griff, ein Lied, das Auskunft über das Wetter und zugleich Einblick in die Seele gibt: "Langsame Eintrübung über Nacht ..."

Judy Winter in Topform - darf ihr Publikum im Renaissance-Theater auf eine Fortsetzung ihres "Marlene"-Erfolgs hoffen? Muss nicht schon der Titel des neuen Stücks, "Die singende Kommissarin", dazu verführen? Aber ach, das glitzernde Opening ist eine Täuschung. Der Schweizer Autor Matthias Zschokke will die Bedürfnisse der Spaßgesellschaft nicht erfüllen. Im Gegenteil, er führt das Publikum hinters Licht, um es mit einem nachtschwarzen Psychodrama zu konfrontieren. Ob die Zuschauer das sehen wollen, fragt sich freilich ebenso, wie es sich fragt, ob die Zuhörer das hören wollen, was hier vor unseren Augen und Ohren als Rundfunksendung live produziert wird.

Zschokke lässt sein Stück in einem Berliner Polizeirevier an einem Silvesterabend spielen, genauer: in der Stunde vor Mitternacht. Ein Lokalsender hat für seine Reihe "Ohr vor Ort" die diensthabende Wachleiterin verpflichtet, zu berichten, was sich da tun mag, und verspricht sich und seinen Hörern eine zusätzliche Attraktion davon, dass die Polizistin früher einmal eine Kultfigur war, nämlich als "Die singende Kommissarin mit ihren swingenden Vopos". Nun also soll Frau Bergfeld, wenn der Sender nicht gerade eines ihrer alten Liedchen einspielt, erzählen, was sie auf ihrer Wache erlebt, möglichst "gruselige Schoten": Mikro frei!

Der Moderator der Sendung, von dem man nur die zunächst betont muntere, dann zunehmend verärgerte Stimme zu hören bekommt, hat sich allerdings schwer verrechnet, denn sein Star vor Ort versagt kläglich. Nichts da von Krimi, nur die Tristesse einer privaten Existenz, anhebend mit einem furiosen Lamento darüber, dass "alles falsch" ist, "das Denken, die Richtung des Denkens", "dem Abgrund entgegen". Die Frau ist total frustriert. Sie gesteht, dass es ihr keinen Spaß macht, mit Besuchern von auswärts ins Restaurant zu gehen; sie schildert, wie sie an ihrer Schlaflosigkeit leidet; sie erzählt von Philipp, einem "lieben Freund", der irgendwo fern im Süden auf einem einsamen Landgut lebt und den zu besuchen weniger Freude bereitet als Qual. Und was passiert auf dem Revier? Ein Kollege, Herr Schwarzkopf, "unser Abschnittsgeschäftsführer", platzt mit seinen Dienstplänen durch die Tür, macht eine albern pedantische Figur - später wird er noch einmal erscheinen, sonderbar verwandelt, Frack und Zylinder, eine Maske vor den Augen, ein Doppelgänger jenes fernen Freundes? Wiederum später schrumpft er auf sein Normalmaß: "Ich bin langweilig, sicher. Aber das sind wir doch schließlich alle ..."

Ein vertrackt spröder Text, mit Einsprengseln bizarren Humors und einem finalen Song, der einer unglücklichen Freundin der singenden Kommissarin Lebensmut machen soll. Dass die Uraufführung, inszeniert von Kay Neumann in der Ausstattung von Detlef Pilz, zu einem Erfolg für den Autor und seinen Komponisten Rainer Rubbert geworden ist, verdankt sich der Treue des Publikums zu seinen Lieblingen Judy Winter und Gerd Wameling. Charmant, wie dieser Herr Schwarzkopf sich zu seiner "bescheuerten Visage" und ihrem "Lächelkrampf" bekennt. Imponierend, wie selbstlos sich Judy Winter in die arme Frau Bergfeld einfühlt, rau belfernd in der Klage, tonlos in der Verzweiflung. Ohne die Sympathie, die Judy/Marlene genießt, liefe der Abend Gefahr, dass die Monotonie überhand nimmt. "Bonjour Tristesse"? Na dann Gute Nacht!

Weitere Vorstellungen bis 3. Februar, 20 Uhr.

Günther Grack

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