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Alles Gute kommt von oben. Das Junge DT mit Sarrazin-Puppe.

© Joachim Fieguth

Theater: Jener höhere Besen, den wir verehren

Nurkan Erpulat und das Junge Deutsche Theater Berlin spielen "Clash", ein hinreißendes Stück über eine Gottheit namens Thilo.

Gar nicht einfach, diese Geschichte nachzuerzählen. Es stehen auch jede Menge Fettnäpfe herum. So ungefähr: In hundert Jahren ist aus Thilo Sarrazins Horrorvision Wirklichkeit geworden, Deutschland hat sich abgeschafft. Affen herrschen über den Planeten – die schlauen migrantischen Viecher haben genau das getan und sich wie die Blöden vermehrt, was „die Deutschen“ hätten verhindern müssen. Stand alles in dem Buch. Anno 2111 verrichten Menschen die Drecksarbeit, während die Affen ihren Machismo ausleben und über Integration palavern.

Vielleicht aber geht die Geschichte von „Clash“ in den Kammerspielen des Deutschen Theaters Berlin auch noch einmal ganz anders, aber das ist nicht wichtig. Es handelt sich um ein „interkulturelles Theaterprojekt des Jungen DT“, und die Spiellust, der Witz, die Bühnenpräsenz, die musikalische Energie der sechzehn Jugendlichen fegen sämtliche Labels und dramaturgischen Bedenken weg, ob und wie „das Buch“ des Thilo S. und der Kinomythos vom „Planet der Affen“ zusammenpassen. Nurkan Erpulat und Dorle Trachternach, die „Clash“-Autoren, hatten die zwingende Idee, zwei Klassiker des Trash aufeinander loszulassen. Erpulat führt auch Regie. Am Ballhaus Naunynstraße hat er kürzlich mit „Verrücktes Blut“ so etwas wie einen Hit produziert. Was Özil im Fußball ist, das soll nun Erpulat im – postmigrantischen – Theater sein. Ein Spielmacher, stark verkaufsgefährdet.

Nurkan Erpulat dreht seine Texte, dass einem der Kopf schwirrt. Er will heilsame Verwirrung stiften. Im „Verrückten Blut“ wird eine Schulklasse von ihrer Lehrerin mit vorgehaltener Pistole zum Deutschunterricht (Schiller!) gezwungen. Wer „Deutscher“ oder „Deutsche“ ist und wer welche Klischees mit sich herumträgt, wie Gewalt entsteht und wie man darauf reagiert, das sind auch Fragen, die sich durch „Clash“ ziehen. Sind die Affen türkischstämmig? Auf welchem Planeten spielt sich diese fette Farce ab?

Hier sieht man einmal keine Castingshow, sondern gleich das Ergebnis. Es hatten sich gut 150 Jugendliche für das Projekt gemeldet, jeder zehnte wurde genommen. Fünf Monate dauerten die Proben. Es zeigt sich, dass Nurkan Erpulat vor allem ein hervorragender Theaterpädagoge ist. Wie sicher die Akteure sich bewegen, wie gut und pointiert sie sprechen, das ist schon eine große Leistung. Wie ironisch sie sein können!

In der Eröffnungsszene in einer Schulbibliothek streiten sie über Gott und den Alleinvertretungsanspruch der drei Religionen der Schrift, Kommunismus und nervige 68er-Eltern, Sex und andere Lebensplanungen: „Ihr wollt Deutsche heiraten? Seit wann das denn? – Na ja, aber nicht zu viele, dann überschreiten wir vielleicht die Grenze zum Lockersein. Denn egal wie locker wir sind, wir müssen noch gewisse Werte beibehalten, damit wir nicht wie Tiere sind.“

Auf einen groben Klotz wie „das Buch“, das die ganze Zeit auf der Bühne herumliegt, gehört ein feiner Erpulat-Humor. „Clash“ bedient sich locker bei den alten Sachen, die sowieso keiner mehr kennt, wie zum Beispiel Woody Allens Theatertexten. Da gibt es ein Dramolett namens „Gott“ – auch schon ein freches Kompilationsteil –, in dem jenes höhere Wesen, das sie verehren, am Schluss mit einem Höllenteil vom Bühnenhimmel herabfährt. Der deus ex machina ist erfunden.

Bei Erpulat ist er eine lebensgroße Puppe mit Sarrazin-Kopf, Schnurrbart und Brille. Die Affen hüten ihn wie ein Orakel, bis die Thilo-Gottheit durch technisches Versagen kaputtgeht. Shit happens, sagt ein Affe (oder ist er schon wieder Mensch?) und alle fallen in einer spontanen Orgie übereinander her, eine Hymne aus der „West Side Story“ („Somewhere“) wird geschmettert, und alle wieder zurück in die Bibliothek, die sich über Nacht in eine Moschee verwandelt hat …

Typische Erpulat-Drehungen, Dialektik zum Schwindligwerden. Etwas lang geraten, macht aber sehr viel Spaß. „Interkulturell“, „postmigrantisch“ – an einem solchen Abend verschwinden auch die angestrengten Hilfsbegriffe. „Clash“ ist ein Berliner Stück, durch und durch.

Wieder am 11. und 21. Februar sowie am 8., 24. und 27. März

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