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Theater: Oops, ich hab’s schon wieder getan

Boulevard trifft Hochkultur - der Trend geht weiter. Christine Wahl freut sich auf Doktor Faust im Micky Mouse Club.

In regelmäßigen Abständen gibt es die Forderung nach einer innigeren Verknüpfung zwischen E- und U-, also zwischen ernsthafter und Unterhaltungskultur. Und wie ein Blick auf die Spielpläne der deutschsprachigen Theater beweist, lassen sich die Hochkulturtempel da nicht zweimal bitten. Yasmina Rezas Edelboulevardkomödie „Der Gott des Gemetzels“, in der sich zwei bildungsbürgerliche Elternpaare wegen eines Schulhofstreits ihrer Söhne gegenseitig in Blumenvasen kotzen, steht zum Beispiel ganz oben auf der Hitliste der meist gespielten Stücke der letzten Saison. Auch kleinere Bühnen wie das Neue Theater Halle ließen sich nicht lumpen und knallten etwa Charlotte Roches Bestseller „Feuchtgebiete“ auf die Bühne. Und dass es allzu einseitig in Richtung E geht, wenn das Hamburger Thalia Theater übermorgen Helene Hegemanns „Axolotl Roadkill“ zur Uraufführung bringt, steht auch nicht direkt zu befürchten.

Kurzum: Man hatte die Boulevardisierungsmission der Theater schon für abgeschlossen gehalten und betrübt gemutmaßt, sämtliche U-Lücken seien längst besetzt. Da kommt die Truppe theaterkosmos53 gerade zur rechten Zeit mit ihrer erlösenden Hiobsbotschaft, „in einer Mischung aus Schauspiel und Tanz das Phänomen Britney Spears mit dem deutschen Nationalmythos ,Faust’ konfrontieren“ zu wollen! „Beide durchleben Außergewöhnliches“, lässt das Team um den Regisseur Stephan Thiel und den Choreografen Dan Pelleg zu seiner Produktion Britney, Britney in den Sophiensälen wissen (25.-27.11., 20 Uhr): Während Spears sich „beim Mickey Mouse Club“ bewerbe, den Jungfrauenschwur ablege und schließlich abstürze, stelle Goethe im „Faust“ gleichermaßen die „letzten Fragen über Liebe, Wahrheit, Willensfreiheit, Verantwortung, Gut und Böse.“

Wir geben zu, zunächst etwas verwirrt gewesen zu sein. Dann stießen wir auf „Global Player Faust“, einen großartigen Essay des Philosophen und Germanisten Michael Jaeger zur Aktualität Goethes. Jaeger befürwortet darin nicht nur ausdrücklich die Kratzer, die Wissenschaft und Theater dem kanonisierten Bild vom schöpferischen Erkenntnisstreber in jüngster Zeit verpasst haben, sondern kanzelt „den vermeintlichen Heroen“ Doktor Faust auch als „veritable Unglücksfigur“ ab, in der sich Goethes Unbehagen an der Moderne flächendeckend Bahn breche.

Entlarvt sich Britney vor diesem Hintergrund vielleicht als „Teil von jener Kraft, die stets das Gute will und stets das Böse schafft“? Wohlan: Naht euch wieder, ihr schwankenden Gestalten, und tut uns kund, was Britneys Welt im Innersten zusammenhält!

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