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Theater: Shakespeare, schubidu

Luk Perceval veralbert „Troilus und Cressida“ bei den Wiener Festwochen. Von Shakespeares komplexer Poetik bleibt nichts mehr übrig.

Es herrscht Krieg, und der Himmel weint. In Troja regnet es, begleitet von Nebelschwaden. In Wollsocken und gelbem Pulli setzt Cressida zaghaft ein Bein vor das andere; unendlich langsam, traumverloren, so tänzelt sie minutenlang über eine imaginäre Linie an der Bühnenrampe. Kein Kopf hebt sich. Die Mannen im Hintergrund hocken auf Campingstühlen, rauchend, lesend, während Thersites in Badelatschen immer wieder den Boden aufwischt und die großen Blechtöpfe justiert, um den Bühnenregen einzufangen. Shakespeares Narr ist verstummt im Lager der Griechen, vor den Toren Trojas. Nach sieben Jahren erfolglosen Krieges herrscht resignative Langeweile.

Sprachloser Agamemnon

Bis einem der Kragen platzt: „Da läuft was falsch“, brüllt Menelaos. „Wo ist Helena? Vielleicht liegt’s am Rumsitzen. Was soll das werden? Die Mauer hoch! Paris, ich sehe dich, du Schwuchtel. Ich töte dich!“ Bernd Grawert pflanzt sich vor der nackten Brandmauer im Hintergrund auf: „Helena, komm da runter. Spring doch. Ich will Rache, Freunde! Ich will Blut! Auf geht’s!“ Wolfgang Preglers Ulysses tätschelt ihn: „Das ist die richtige emotionale, psychologische Einstellung. Ja!“ Doch was fehlt, ist eine Strategie. So diskutieren die griechischen Heerführer als bürokratische Anzugs-Clowns. Ihr König Agamemnon (Hans Kremer), eine Karikatur George W. Bushs, bringt kaum einen Satz ohne Souffleuse heraus.

Original brutal verkürzt

„Nach“ Shakespeare müsste es eigentlich im Programmbuch dieser Inszenierung heißen, die der flämische Regisseur Luk Perceval im Rahmen der Wiener Festwochen und als Koproduktion mit den Münchner Kammerspielen da auf die Bühne des Theaters an der Wien geklatscht hat. Denn die Bearbeitung Paul Brodowskys, eine „Anmaßung“, wie er selbst es nennt, verkürzt Shakespeares „Troilus und Cressida“ von 1602 inhaltlich und formal brutal. Anstelle komplexer Poetik herrschen Aktualisierung und Oberflächlichkeit, wird auf den schnellen Effekt durch Alltagskalauer gesetzt. „Lauter Krieg und Liederlichkeit, die bleiben immer in Mode“, heißt es im Original des Trauerspiels, das sich um die Aporie aller Politik dreht, die persönlichen Interessen von Machthabern durch Vernunft in die Schranken zu weisen. Shakespeares hoffnungslos-düstere Modernität liegt in seiner Wahrnehmung zeitloser Herrschaftsstrukturen, die die Seelen zerstören und die Liebe vernichten, wenn das Politische ins Private kippt.

Auf Percevals karger Einheitsbühne, wo die Scheinwerfer am Boden lagern, spielen die Griechen mit einem Fußball. Die Trojaner tragen zu dunklem Anzug (Kostüme Ilse Vandenbussche) weiße Blechschüsseln als Helme. Ein Szenario alberner Gestalten, von dem sich die kurze Liebesszene zwischen Troilus und Cressida seltsam pathetisch abhebt. Überfordert und blass ist Troilus (Oliver Mallison), ratlos vor Cressidas Zaudern nach dem ersten Kuss, dem kurzen Aufflammen von Begierde. Mit wenigen, allein dem Liebespaar vorbehaltenen Originalversen skizziert Julia Jentsch Cressidas Not, reißt sich gehetzt aus der Umarmung, ahnend, wie viel Selbstaufgabe die Liebe für die Frau bedeuten kann. Sie zählt im Männerstaat so wenig wie die Seherin Kassandra – Annette Paulmann in einer Dreifachrolle auch als Andromache und Kalchas –, die Perceval als Verrückte der Harmlosigkeit preisgibt.

Es helfen weder Kunstblut noch Gebrüll

Wie die geraubte Helena wird auch Cressida zum Opfer. Die Kriegspolitiker verschachern sie an die Griechen. Als Lagerhure windet sich Cressida aus den Armen des geifernden Diomedes (Wolfgang Pregler), derweil Troilus der Rotz übers Kinn läuft: Wo Gewalt herrscht, sieht er nur den Treuebruch. Während Shakespeare Cressida ambivalent gestaltete – erzwungene und freiwillige Hingabe halten sich die Waage – verflacht Perceval durch Eindeutigkeit und nimmt Troilus die Glaubwürdigkeit seines Wandels vom verliebten Kriegsmuffel zur Rachebestie. Da helfen weder Kunstblut noch Gebrüll. Diese Schlacht, am Ende von Ulysses skizziert, hat nichts Bedrohliches: Menelaos hockt auf einem Pappmaschee-Pferd und zupft dümmlich die Gitarre.

Eigentlich wollten sie ja alle nur nach Hause, wie Agamemnon und Menelaos, zwei Heulsusen, singen: „Wohin gehen wir nur? Vielleicht fahren wir nach Malibu? Oder wir spielen schon mal ne Runde ‚Blinde Kuh’? Schubidu!“ Shakespeares morbides Kriegsstück verpufft bei Perceval in alberner Banalisierung.

Christina Kaindl-Hönig

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